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Tag des Opritschniks, Der

Tag des Opritschniks, Der

Titel: Tag des Opritschniks, Der Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vladimir Sorokin
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»Wackelburschen« an und erfrage die Einzelheiten. Scheint alles bereit zu sein. Ich stelle den Wagen ab und gehe durch den Diensteingang in das Theater. Einer von den Burschen, untere Charge, empfängt mich, geleitet mich in den Saal. Ich setze mich ganz außen in die vierte Reihe.
    Auf der Bühne: der Stern. Die Berühmtheit. Saweli Iwanowitsch Artamonow, Volkserzähler, Bylinendichter und Barde. Artamoscha wird er liebevoll im Volk genannt. Grauhaarig, silberbärtig, mit kräftiger Statur und schönem Gesicht, wenngleich nicht mehr der Jüngste. In schwarzseidener Stehkragenbluse auf seinem unvermeidlichen Lindenholzbänkchen sitzend, in den Händen die unvermeidliche Säge. Artamoscha fährt mit dem Geigenbogen darüber hin, die Säge hebt sonderbar zart zu singen an, zieht das Publikum in den Bann. Und zum betörenden Wimmern dieses Instruments trägt er im Sprechgesang, mit tiefer, bedächtiger Stimme, die nächste Strophe seiner Byline vor:
     
    Seht, da schleicht sich die Frau Füchsin an,
achduwei, ach,
    An den Hundezwinger, den im Kreml, ran,
achduwei, ach,
    Der gezimmert ist aus kapitalen Bohlen,
achduwei,
    Der als Fenster hat nur klitzekleine Luken,
achduwei,
    Und davor sind auch noch stramme Gitterstäbe,
achduwei,
    Und die Türen, die aus Eichenholz, die dicken,
achduwei,
    Sind mit kiloschweren Schlössern zugesperrt,
achduwei, ach, ach, ach
    Was nun, was nun, mein liebes Huhn, mein Füchselein? …
     
    Artamoscha wirft seine weiße Mähne zurück, kneift die Augen zu einem Spalt zusammen, wiegt die stattlichen Schultern. Lässt die Säge singen. Die Leute im Saal hat er schon an seiner Angel. Fehlt nur noch ein brennendes Streichholz, dann stünde der Saal lichterloh in Flammen. In den ersten Reihen sitzen seine eingeschworenen Anhänger, schunkeln im Takt der Säge, summen mit. In der Saalmitte bricht irgendeine geistesgestörte Person in lautes Klagen aus. Weiter hinten wird geschluchzt und hin und wieder gekreischt, dazwischen macht jemand gehässige Bemerkungen. Ein schwieriges Publikum. Wie die Wackelburschen hier ihre Arbeit verrichten wollen, ist mir schleierhaft.
     
    Wie die Schlösser aufknibbeln, aufknubbeln,
Mamatschi mein?
    Wie die Türen aufhebeln, aufhobeln,
Babatschi mein?
    Durch die Luken durchflitschen, durchflutschen,
mein Stöpseli?
    Unterm Pfosten wegpaddeln, wegbuddeln,
mein Schöpseli? …
     
    Aus den Augenwinkeln beobachte ich den Saal. Sehe, die Wackelbrüder haben sich in der Saalmitte platziert. In die ersten Reihen hat der Artamonow-Klub sie nicht vorgelassen, das kann man sich denken. Wenn die Gesichter nicht täuschen, sind die Wackelburschen in großer Zahl erschienen. Anscheinend wollen sie durch Übermacht punkten, so wie sie es meistens machen. Hoffen wir, dass die Rechnung aufgeht …
     
    Doch da hustet die Frau Füchsin einmal kurz
nur, achduwei,
    Hat das Schlüsselchen, das goldne, ausgekotzt
schon, achduwei,
    Und schließt auf damit das Schloss, das schwere,
schwarze, achduwei,
    Und schon öffnet sich die Eichentüre,
achduwei, hei, hei, hei
    Also reinspaziert, Frau Füchsin, in den
Kremlhundezwinger,
    Zu den Rüden, die da schlafen ihren
Rüdenschlaf …
    Der Saal fängt an mitzusingen: Zu den Rüden! Zu den Rüden! Wildes Zappeln in den vorderen Reihen, von hinten tönen Schreie, Schluchzen, Wehklagen. Ein paarSitze neben mir schlägt eine Dicke in teuren Klamotten ein Kreuz, singt und wiegt sich. Artamoscha streicht die Säge, dabei lässt er den Kopf so weit nach hinten fallen, dass der Adamsapfel hervorsticht:
     
    Zu den Rüden, die da träumen ihren
Rüdentraum,
    Zu den Rüden, den gepflegten, wohlgenährten,
    Zu den Rüden. Jung und juckelig!
    Und sie zwicket sie mit ihrem Hurenzwick,
    Tanzt den Zwickezwack vor denen, achduwei,
    Was für’n garst’ger Zwickezwack …
     
    Nun fehlt nicht mehr viel, und der Saal explodiert. Ich fühle mich wie auf einem Pulverfass. Und die Wackelburschen, diese Hornochsen, sitzen da und tun nichts …
     
    Wie die Rüden zucken, achduwei,
    Wie sie gucken, achduwei, hei, hei, hei …
     
    An dieser Stelle klappt Artamoscha die Augen auf und macht eine Kunstpause, lässt den kristallenen Blick durch den Zuschauerraum gehen. Seine Säge wimmert auf.
     
    Und sie stürzen sich auf die Frau Füchsin drauf!
    Und sie ficken sie in ihrem Zwinger, ab die Post!
    Zwischen all der Hundescheiße, jo!
    In dem Eck, dem stinkenden, jo! jo!
    Und es macht ihr Spaß!
    Bitte-bitte gleich nochmal!
    Ach, je öfter, desto besser!
    Weil, das

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