Tag und Nacht und auch im Sommer
Stimmen verlangte nun ebenfalls nach Marzipan, aber Kenny sagte, er habe keins mehr. Morgen werde er sechsunddreißig Stück Marzipan mitbringen, natürlich selbstgemacht. Als nächster sagte Tommy Esposito, er werde ein paar Kleinigkeiten aus dem Restaurant seines Vaters mitbringen. Wahrscheinlich Reste, aber garantiert alles einwandfrei und warm. Das löste eine Lawine von Angeboten aus. Eine Koreanerin versprach, etwas mitzubringen, was ihre Mutter mache, Kimchee, eingelegter Kohl, so scharf, daß er einem den Gaumen verbrennt. Kenny meinte, wenn so viel Eßbares zu erwarten sei, sollten wir einfach den Unterricht vergessen, uns morgen auf dem Stuyvesant Square gleich neben der Schule treffen und alles im Gras ausbreiten. Außerdem sollten wir daran denken, Plastikutensilien und Servietten mitzubringen. Tommy sagte nein, die Fleischbällchen seines Vaters werde er nie und nimmer mit Plastikbesteck essen. Er sei bereit, sechsunddreißig Gabeln mitzubringen, und die dürften wir natürlich auch für andere Gerichte benutzen. Außerdem schlug er vor, Mr. McCourt von der Pflicht zu entbinden, etwas mitzubringen. Es sei schon bitter genug, Kinder unterrichten zu müssen, auch ohne daß man sie obendrein noch verköstigt.
Am nächsten Tag blieben im Park die Leute stehen, um zu sehen, was wir machten. Ein Arzt aus dem Beth Israel Hospital meinte, er habe noch nie so ein kulinarisches Aufgebot gesehen. Als wir ihm Probehäppchen und -schlückchen anboten, verdrehte
er die Augen und summte vor Behagen, bis er den Kimchee probierte und um einen Schluck kaltes Wasser für seinen verbrannten Gaumen bitten mußte.
Statt die Sachen im Gras anzurichten, verteilten wir sie auf Parkbänke. Es gab jüdische Spezialitäten (Kreplach, Matzen, Gefilte Fisch), italienische (Lasagne, Tommys Fleischbällchen, Ravioli, Risotto), chinesische, koreanische, einen riesigen Hackbraten für sechsunddreißig Personen, zubereitet aus Rindfleisch, Kalbfleisch, Kartoffeln und Zwiebeln. Ein Polizeiauto kam vorbei. Die Polizisten wollten wissen, was wir da veranstalteten. Es sei nicht erlaubt, ohne amtliche Erlaubnis einen Jahrmarkt im Park abzuhalten. Ich erklärte ihnen, das Ganze sei eine Wortschatzübung, und sie sollten sich mal ansehen, was meine Schüler da alles lernten. Die Polizisten meinten, auf der katholischen Schule hätten sie nie solche Wortschatzübungen gemacht, das sehe ja alles ganz köstlich aus, und ich forderte sie auf, auszusteigen und sich den einen oder anderen Leckerbissen zu gönnen. Als der Arzt aus dem Beth Israel sie vor dem Kimchee warnte, sagten sie, immer her damit, es gebe in Vietnam und Thailand kein einziges scharfes Gericht, das sie nicht probiert hätten. Sie löffelten es auf, schnappten nach Luft und verlangten nach etwas Kaltem. Bevor sie wieder einstiegen, fragten sie, wie oft wir künftig solche Wortschatzübungen zu machen gedächten.
Obdachlose kamen herbei und mischten sich unter die Klasse, und wir gaben ihnen das Wenige, was übrig war. Einer spuckte sein Stück Marzipan wieder aus und sagte, was ’n das für ’n Scheißzeug? Ich bin zwar ein Penner, aber verarschen laß ich mich deswegen noch lange nicht.
Ich stellte mich auf eine Bank, um meine neue Idee zu verkünden. Ich mußte das Geschnatter der Schüler übertönen, das Grummeln und Jammern der Obdachlosen, die Bemerkungen neugieriger Passanten, das Hupen und Kreischen von der Second Avenue.
Hört mal her! Hört ihr mir zu? Ich möchte, daß morgen jeder ein Kochbuch mitbringt. Ja. Ein Kochbuch. Was? Ihr habt kein Kochbuch zu Hause? Tja, dann müssen wir eine Exkursion zu der Familie einplanen, die kein eigenes Kochbuch besitzt. Wir sammeln für euch. Also nicht vergessen, morgen ein Kochbuch.
Mr. McCourt, warum müssen wir Kochbücher mitbringen?
Das weiß ich noch nicht. Vielleicht weiß ich es morgen. Ich hab da was im Kopf, was sich zu einer Idee auswachsen könnte.
Mr. McCourt, nichts für ungut, aber manchmal sind Sie richtig ein bißchen unheimlich.
Sie brachten die Kochbücher mit. Sie fragten, was hat das damit zu tun, daß wir schreiben lernen sollen?
Das werdet ihr schon sehen. Schlagt euer Buch irgendwo auf. Wenn ihr es schon durchgesehen habt und auf ein Lieblingsrezept gestoßen seid, schlagt das auf. David, lies deins vor.
Was?
Lies dein Rezept vor.
Was, hier vor der Klasse?
Ja. Nur zu, David. Ist doch keine Pornographie. Wir haben nicht den ganzen Tag Zeit. Wir müssen uns Dutzende von Rezepten ansehen.
Aber
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