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Tag und Nacht und auch im Sommer

Tag und Nacht und auch im Sommer

Titel: Tag und Nacht und auch im Sommer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frank McCourt
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sie nämlich gedruckt wie Lyrik aussehen, und manche lesen sich auch wie Lyrik. Ich finde, die sind sogar noch besser als Lyrik, weil man sie schmecken kann. Und, wow, die italienischen Rezepte sind pure Musik.
    Maureen McSherry schließt sich ihr an. Was mir an den Rezepten auch so gefällt: Man kann sie so lesen, wie sie sind, ohne daß irgendwelche Scheiß-Englischlehrer ständig auf dem tieferen Sinn rumreiten.
    Schön, Maureen, darauf kommen wir noch zurück.
    Auf was?
    Auf die Scheiß-Englischlehrer, die auf dem tieferen Sinn rumreiten.
    Michael Carr sagt, er habe seine Flöte dabei, und falls jemand ein Rezept rezitieren oder singen möchte, könne er ihn begleiten. Brian schaut skeptisch. Er sagt, soll das ein Witz sein? Kochrezepte mit Flötenbegleitung? Drehn hier jetzt alle komplett durch? Susan sagt ihm, laß den Quatsch, und bietet an, zu Michaels Begleitung ein Lasagnerezept vorzutragen. Während sie ein Rezept für schwedische Fleischbällchen vorliest, spielt er »Hava Nagila«, eine Melodie, die nichts mit schwedischen Fleischbällchen zu tun hat, und die anderen kichern erst, dann hören sie ernsthaft zu, und am Schluß klatschen sie und gratulieren den beiden. James meint, sie sollten mit der Nummer auf die Straße gehen und sich The Meatballs oder The Recipes nennen, und er bietet ihnen an, ihr Agent zu werden, weil er sowieso mal Steuerberater werden will. Als Maureen ein Rezept für irisches Natronbrot vorliest, spielt Michael »The Irish Washerwoman«, und alle klopfen oder schnippen den Takt mit.
    Die Klasse ist lebendig. Einer sagt dem anderen, wie irre das ist, schon allein die Idee, Rezepte vorzulesen, Rezepte zu rezitieren,
Rezepte zu singen, während Michael seine Flöte französischen, englischen, spanischen, jüdischen, irischen, chinesischen Rezepten anpaßt. Und wenn jetzt jemand reinkäme ? Diese japanischen Pädagogen zum Beispiel, die sich hinten an die Wand stellen und den Lehrer beobachten? Wie würde der Rektor ihnen Susan und Michael und das Frikadellenkonzert erklären ?
    Brian setzt der allgemeinen Begeisterung einen Dämpfer auf. Er fragt, ob er einen Paß bekommen könne, um ins Sekretariat zu gehen und sich zu erkundigen, ob er die Klasse wechseln kann, weil er hier nichts lernt. Ich meine, wenn das die Steuerzahler erfahren, wie wir hier unsere Zeit mit dem Singen von Kochrezepten vertrödeln, sind Sie Ihren Job los, Mr. McCourt. Ist nicht persönlich gemeint, sagt er.
    Er will sich bei Penny Schützenhilfe holen, aber die übt schon ein Paellarezept aus dem Kochbuch einer anderen. Sie sieht Brian an und schüttelt den Kopf, und als sie mit dem Rezept fertig ist, sagt sie, wenn er wirklich die Klasse wechseln wolle, sei er verrückt. Verrückt. Ihre Mutter hat ein Rezept für ein absolut himmlisches Lammragout, das sie, Penny, morgen mitbringen wird, und es wäre schön, wenn Michael dann wieder mit der Flöte dabei wäre. Ach überhaupt, ob sie nicht ihre Mutter mitbringen soll. Ihre Mutter singt immer in der Küche, wenn sie Lammragout macht, und das wär doch super, wenn Penny einfach das Rezept vorlesen, ihre Mutter singen und Michael so schön auf der Flöte spielen würde. Das wär doch super!
    Brian wird rot und sagt, er spielt Oboe und würde gern mit Michael zusammenspielen, wenn Penny morgen ihr Lammragoutrezept vorträgt. Sie legt ihm die Hand auf den Arm und sagt, ja, das machen wir.
    Im A-Train nach Brooklyn kommen mir Bedenken wegen der Entwicklung, die diese Klasse nimmt, vor allem weil meine anderen Klassen schon fragen, warum sie nicht auch mit allen möglichen Fressalien in den Park gehen und Rezepte mit Musikbegleitung
vorlesen dürfen. Wie läßt sich das alles vor den höheren Stellen rechtfertigen, die den Lehrplan im Auge haben ?
    Mr. McCourt, was um Himmels willen geht eigentlich in diesem Raum vor? Herrgott noch mal, Sie lassen die Kinder aus Kochbüchern vorlesen. Rezepte singen? Wollen Sie uns veräppeln ? Könnten Sie freundlicherweise erklären, was das mit Englischunterricht zu tun hat? Wo bleibt da die Literatur, die englische, amerikanische, die Weltliteratur? Sie wissen doch ganz genau, daß diese jungen Leute sich auf ein Studium an einem der besten Colleges des Landes vorbereiten, und Sie wollen Sie so in die Welt hinausschicken? Rezepte lesen? Rezepte vortragen? Rezepte singen? Wie wär’s mit einer Choreographie für Irisches Ragout oder das klassische Western-Omelett, natürlich mit passender Musik? Oder warum nicht gleich Englisch

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