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Tag und Nacht und auch im Sommer

Tag und Nacht und auch im Sommer

Titel: Tag und Nacht und auch im Sommer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frank McCourt
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Gesicht in beide Hände nimmt und dir sagt, du sollst mehr Zutrauen zu dir selbst haben. Sie sagte, mein Vater war aus Liverpool und hat sich zu Tode gesoffen, weil er Angst vor der Welt hatte. Er hat gesagt, er wäre am liebsten katholisch, dann könnte er in ein Kloster eintreten und müßte nie wieder Menschen sehen. Meine Mutter wollte ihn dazu bringen, etwas Gutes über sich selbst zu sagen. Das hat er nicht fertiggebracht, also hat er getrunken, bis er gestorben ist. Trinkst du eigentlich?
    Nicht viel.
    Paß bloß auf. Du bist Ire.
    Dein Vater war kein Ire.
    Nein, aber er hätte einer sein können. In Liverpool ist jeder Ire. Aber jetzt laß uns den Seeteufel machen.
    Sie gab mir einen Kimono. Ist schon okay. Du kannst dich im Schlafzimmer umziehen. Wenn er gut genug für einen Samurai ist, ist er auch gut genug für einen zähen kleinen Mick, der gar nicht so zäh ist.
    Sie selbst zog einen silbernen Morgenmantel an, der ein Eigenleben
führte. Bald lag er eng an, bald bauschte er sich so weit, daß sie sich darin frei bewegen konnte. Mir war Ersteres lieber, es bewirkte, daß es auch unter meinem Kimono recht lebendig zuging.
    Sie fragte mich, ob ich Weißwein möge, und ich sagte ja, weil mir nach und nach klar wurde, daß ein Ja die beste Antwort auf jede Frage war, zumindest bei June. Ich sagte ja zu dem Seeteufel und dem Spargel und den beiden flackernden Kerzen auf dem Tisch. Ich sagte ja dazu, wie sie das Weinglas hob und es auf meines zubewegte, bis es ping machte. Ich sagte ihr, es sei das köstlichste Essen, das ich je im Leben bekommen hätte. Ich wollte auch noch sagen, daß ich mich wie im Himmel fühlte, aber das hätte vielleicht aufgesetzt geklungen, und sie hätte mir womöglich einen komischen Blick zugeworfen, der den ganzen Abend und mein Leben danach ruiniert hätte.
    Norm wurde nicht mehr erwähnt in den sechs Nächten, die auf die Nacht des Seeteufels folgten, nur daß zwölf frische Rosen in einer Vase in ihrem Schlafzimmer standen, mit einem Kärtchen, auf dem Liebe Grüße von Norm stand. Ich trank mir Mut an, um sie zu fragen, wie zum Henker kannst du in Anwesenheit von Norms frischen Rosen hier mit mir im Bett liegen?, aber ich fragte dann doch nicht. Rosen konnte ich mir nicht leisten, also kaufte ich ihr Nelken, die sie in einen großen Glaskrug neben die Rosen stellte. Nicht daß sie den Rosen Konkurrenz gemacht hätten. Neben Norms Rosen sahen meine Nelken so mickrig aus, daß ich ihr von meinen letzten paar Dollars doch noch ein Dutzend Rosen kaufte. Sie schnupperte daran und sagte, oh, sind die schön. Darauf wußte ich nichts zu sagen, denn ich hatte sie ja nicht gezüchtet, sondern nur gekauft. Norms Rosen in dem Glaskrug waren schon ein bißchen welk, und voller Genugtuung stellte ich mir vor, daß meine Rosen seine ersetzen würden, aber was June dann tat, kränkte mich zutiefst.
    Von meinem Stuhl in der Küche aus sah ich, was sie im Schlafzimmer machte: Sie nahm meine Rosen eine nach der anderen
und steckte sie behutsam zwischen Norms Rosen, mitten hinein und drumherum, trat zurück, um die Wirkung zu begutachten, stützte mit meinen frischen Rosen die Rosen von Norm, die schon schlaff wurden, streichelte die Rosen, seine und meine, und lächelte, als seien die einen Rosen so gut wie die anderen.
    Bestimmt wußte sie, daß ich sie beobachtete. Sie drehte sich um und lächelte mir zu, der ich leidend und fast heulend in der Küche saß. Schön sind die, wiederholte sie. Es war klar, daß sie die vierundzwanzig Rosen meinte, nicht nur mein Dutzend, und am liebsten hätte ich sie angebrüllt und wäre hinausgestürmt wie ein richtiger Mann.
    Ich ließ es bleiben. Sie machte gefüllte Schweinekoteletts mit Apfelmus und Kartoffelbrei, und es schmeckte wie Pappe. Wir gingen ins Bett, aber ich dachte ständig nur an meine Rosen und wie sie vermengt waren mit denen von diesem Scheißkerl in Vermont. Sie meinte, ich sei wohl nicht im Vollbesitz meiner Kräfte, und ich hätte ihr am liebsten gesagt, ich wünschte, ich wäre tot. Ist schon okay, sagte sie. Das ist die Gewöhnung. Man muß es frisch halten.
    War das ihre Art, es frisch zu halten? Indem sie mit uns beiden jonglierte und Blumen von zwei Männern in dieselbe Vase stellte?
    Gegen Ende dieses Frühjahrssemesters traf ich Seymour auf dem Washington Square. Na, wie läuft’s? fragte er und lachte anzüglich. Wie geht’s der hinreißenden June?
    Ich stotterte und trat von einem Fuß auf den anderen. Er sagte, mach dir

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