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Tag und Nacht und auch im Sommer

Tag und Nacht und auch im Sommer

Titel: Tag und Nacht und auch im Sommer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frank McCourt
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nichts draus. Mit mir hat sie’s genauso gemacht, aber mich hat sie nur zwei Wochen gehabt. Ich bin ihr auf die Schliche gekommen und hab ihr gesagt, sie kann mich mal.
    Was für Schliche?
    Sie tut das alles Norm zuliebe. Sie nimmt mich mit, sie nimmt dich mit und weiß der Himmel wen noch, und erzählt alles brühwarm ihrem Norm.

    Aber der fährt doch nach Vermont.
    Vermont, meine Fresse! Kaum bist du raus aus ihrer Wohnung, kommt er zu ihr und läßt sich alles haarklein berichten.
    Woher weißt du das?
    Er hat’s mir gesagt. Er mag mich. Er erzählt ihr von mir, sie erzählt ihm von dir, und sie wissen, daß ich dir von ihnen erzähle, und dabei haben sie einen Mordsspaß. Sie reden über dich und darüber, daß du von nichts auch nur den blassesten Schimmer hast.
    Ich ließ ihn stehen, und er rief mir nach, jederzeit, Mann, jederzeit.
     
    Ich kam mit Ach und Krach durch das Lehramtsexamen. Ich kam überall mit Ach und Krach durch. Um die Prüfung zu bestehen, brauchte man mindestens fünfundsechzig Punkte; ich schaffte neunundsechzig. Die entscheidenden Punkte verdankte ich wahrscheinlich dem Wohlwollen eines Englisch-Fachbereichsleiters von der Eastern District High School in Brooklyn, der meine Lehrprobe bewertete, und dem glücklichen Umstand, daß ich mich ein bißchen in der Antikriegslyrik aus dem Ersten Weltkrieg auskannte. Ein alkoholischer Professor an der NYU sagte mir einmal in aller Freundschaft, ich sei ein Student auf Sparflamme. Ich war beleidigt, bis ich dann darüber nachdachte und zugeben mußte, daß er recht hatte. Ich lebte in jeder Hinsicht auf Sparflamme, aber eines Tages würde ich mich zusammenreißen, mich auf den Hosenboden setzen, mir einen Ruck geben, mich ins Zeug legen, etwas aus mir machen – alles auf die gute alte amerikanische Art.
    Wir saßen auf Stühlen in den Korridoren der Brooklyn Technical High School, warteten auf die mündliche Prüfung, füllten Formulare aus, unterschrieben Loyalitätserklärungen an die Vereinigten Staaten, in denen wir versicherten, daß wir weder jetzt noch jemals Mitglied der Kommunistischen Partei waren.
    Ich sah sie schon, lange bevor sie sich neben mich setzte. Sie
trug ein grünes Kopftuch und eine Sonnenbrille, und als sie das Kopftuch abnahm, leuchtete ihre rote Haarpracht auf. Ich starb fast vor Sehnsucht nach ihr, gönnte ihr aber nicht die Genugtuung, sie anzusehen.
    Hi, Frank.
    Wäre ich eine Figur aus einem Roman oder einem Film, dann wäre ich aufgestanden und gegangen. Stolz. Sie sagte noch einmal hi. Sie sagte, du siehst müde aus.
    Ich blaffte sie an, um ihr zu zeigen, daß ich keinen Grund sah, höflich zu ihr zu sein, nach dem, was sie mir angetan hatte. Ich bin überhaupt nicht müde, sagte ich. Aber dann berührte sie mein Gesicht mit den Fingern.
    Der Roman- oder Filmheld hätte den Kopf weggedreht, um ihr zu zeigen, daß er nicht vergessen hat, sich nicht von einem zweimaligen Gruß und ein paar Fingerspitzen erweichen läßt. Sie lächelte und berührte erneut meine Wange.
    Alle auf dem Flur schauten zu uns her, bestimmt fragten sie sich, was sie mit mir zu schaffen hatte. Sie war einfach umwerfend, und ich war nicht gerade ein Hauptgewinn. Sie sahen ihre Hand auf meiner.
    Wie geht’s dir denn so?
    Gut, krächzte ich. Ich schaute die Hand an und stellte mir vor, wie sie über Norms Körper wanderte.
    Sie fragte, bist du aufgeregt wegen der Prüfung?
    Ich blaffte sie wieder an. Nein, überhaupt nicht.
    Du wirst ein guter Lehrer.
    Ist mir egal.
    Das ist dir egal? Warum tust du dir das dann an?
    Ich weiß nicht, was ich sonst machen soll.
    Oh. Sie sagte, sie werde das Examen machen, um ein Jahr lang zu unterrichten und dann ein Buch darüber zu schreiben. Das sei Norms Vorschlag. Norm, der große Experte. Er sagt, das Bildungswesen in Amerika sei ein einziger Skandal, und ein Enthüllungsbuch von einem Insider des Schulsystems würde
ein Bestseller werden. Arbeite ein, zwei Jahre als Lehrerin, schildere den schrecklichen Zustand des Schulwesens, und du landest einen Knüller.
    Ich wurde aufgerufen. Sie sagte, wie wär’s nachher mit einem Kaffee?
    Hätte ich nur einen Funken Stolz oder Selbstachtung besessen, ich hätte nein gesagt und wäre gegangen, aber ich sagte okay und ging klopfenden Herzens in die Prüfung.
    Ich sagte guten Morgen zu den drei Prüfern, aber die haben Anweisung, die Lehramtskandidaten nicht anzusehen. Der Mann in der Mitte sagte, Sie haben zwei Minuten, um das Gedicht zu lesen, das vor Ihnen

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