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Tag und Nacht und auch im Sommer

Tag und Nacht und auch im Sommer

Titel: Tag und Nacht und auch im Sommer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frank McCourt
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liegt. Anschließend werden wir Sie bitten, es zu analysieren und uns zu sagen, wie Sie es einer High-School-Klasse nahebringen würden.
    Der Gedichttitel beschrieb genau, wie ich mich bei dieser Prüfung fühlte: »Ich wollte ich könnte vergessen daß ich ich bin.«
    Der Kahlkopf rechts fragte mich, ob ich wisse, um welche Gedichtform es sich handle.
    Ja, sicher, ja. Es ist eine Sonate.
    Wie bitte?
    Oh, pardon. Ein Sonett. Vierzehn Zeilen.
    Und das Reimschema? Äh … äh … abbaabbacdcdc.
    Sie warfen sich Blicke zu, und ich wußte nicht, ob ich richtig lag oder nicht.
    Und der Verfasser?
    Äh, ich glaube, es ist von Shakespeare. Nein, nein, von Wordsworth.
    Weder noch, junger Mann. Es ist von Santayana.
    Der Kahlkopf stierte mich an, als hätte ich ihn persönlich beleidigt. Santayana, sagte er, Santayana, und ich schämte mich beinahe meiner Ignoranz.
    Sie blickten streng, und ich hätte am liebsten erklärt, Fragen
über Santayana seien unfair, weil er in keinem Lehrbuch und keiner Anthologie stehe, die ich in meinen vier verdösten Jahren an der New York University in der Hand gehabt hatte. Sie fragten mich nicht danach, aber ich sagte ihnen freiwillig das einzige, was ich von Santayana wußte: Wenn wir nicht aus der Geschichte lernen, werden wir zwangsläufig immer wieder dieselben Fehler machen. Sie schienen nicht beeindruckt, nicht einmal dann, als ich ihnen sagte, ich wüßte sogar Santayanas Vornamen, George.
    Nun gut, sagte der Mittlere. Wie würden Sie dieses Gedicht Ihren Schülern nahebringen?
    Ich plapperte drauflos. Na ja … ich glaube … ich glaube … es handelt teilweise von Selbstmord und von Santayanas Überdruß, und ich würde über James Dean sprechen, weil Teenager ihn bewundern, und daß er sich wahrscheinlich unbewußt umbringen wollte mit seinem Sportwagen, und ich würde Hamlets Selbstmord-Monolog erwähnen, »Sein oder Nichtsein«, und sie dann über ihre eigenen Gefühle in bezug auf Selbstmord reden lassen, falls sie schon mal welche hatten.
    Der Rechte sagte, was würden Sie zur Verstärkung tun?
    Ich weiß nicht, Sir. Was meinen Sie mit Verstärkung?
    Er zog die Augenbrauen hoch und sah die anderen an, als müsse er an sich halten, um nicht die Geduld zu verlieren. Er sagte, Verstärkung ist Aktivität, Bereicherung, Nachbereitung, irgendeine Aufgabe, durch die das Gelernte sich zusätzlich ins Gedächtnis des Schülers einprägt. Man kann nicht in einem Vakuum unterrichten. Ein guter Lehrer setzt den Stoff in Beziehung zum wirklichen Leben. Das verstehen Sie doch, oder?
    Oh. Ich war verzweifelt. Ich stammelte, ich würde ihnen aufgeben, einen Abschiedsbrief von hundertfünfzig Wörtern zu schreiben. Damit könnte ich sie ermuntern, über das Leben als solches nachzudenken, denn Samuel Johnson sagt: Nichts schärft den Geist so wundervoll wie der Gedanke, am Morgen gehängt zu werden.

    Der Mittlere fuhr aus der Haut. Was?
    Der Rechte schüttelte den Kopf. Wir sind nicht hier, um über Samuel Johnson zu diskutieren.
    Der Linke zischte. Abschiedsbrief? Das würden Sie schön bleiben lassen. Haben Sie gehört? Sie haben es mit empfindsamen Gemütern zu tun. Mann Gottes! Sie können gehen.
    Ich bedankte mich, aber was sollte das noch nützen? Ich war erledigt, soviel stand fest. Es war klar, daß die mich nicht leiden konnten, weil ich nichts über Santayana und Verstärkung wußte, und die Idee mit dem Abschiedsbrief hatte mir bestimmt den Rest gegeben. Die waren Fachbereichsleiter an High Schools oder hatten andere bedeutende Positionen, und sie waren mir unsympathisch, wie alle, die Macht über mich hatten, Bosse, Bischöfe, Professoren, Steuerprüfer, überhaupt Höhergestellte jeder Art. Trotzdem fragte ich mich, warum Leute wie diese Prüfer so unhöflich sind, daß man sich ganz klein und häßlich vorkommt. Ich an ihrer Stelle hätte versucht, den Prüflingen über ihre Nervosität hinwegzuhelfen. Wenn junge Leute Lehrer werden wollen, sollten sie ermutigt werden und nicht eingeschüchtert von Prüfern, die Santayana für den Mittelpunkt des Universums halten.
    So dachte ich damals, aber da wußte ich auch noch nicht, wie es auf der Welt zugeht. Ich wußte nicht, daß die da oben sich vor denen hier unten schützen müssen. Ich wußte nicht, daß ältere Menschen sich gegen jüngere schützen müssen, die sie vom Antlitz der Erde schubsen wollen.
    Als ich herauskam, war sie schon auf dem Flur, band sich das Kopftuch unter dem Kinn zu und sagte, na, das war ja wohl ein

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