Tag und Nacht und auch im Sommer
aufmerksam.
He, Mr. McCourt, was ist denn das?
Das sind Entschuldigungen.
Wieso, was’n für Entschuldigungen? Wer hat ’n die geschrieben ?
Ihr, oder jedenfalls ein paar von euch. Ich habe die Namen weggelassen, um niemanden an den Pranger zu stellen. Angeblich wurden die Entschuldigungen von Eltern geschrieben, aber ihr kennt die tatsächlichen Verfasser genausogut wie ich. Ja, Mikey?
Und was sollen wir mit den Entschuldigungen machen?
Wir werden sie vorlesen. Ihr seid nämlich die erste Schulklasse auf der Welt, die sich mit der Kunst des Abfassens von
Entschuldigungen beschäftigt, die erste Klasse, die jemals geübt hat, solche Entschuldigungen zu schreiben. Ihr könnt euch glücklich schätzen, einen Lehrer wie mich zu haben, der eure besten schriftlichen Arbeiten, die Entschuldigungen, zum Gegenstand einer schulischen Übung macht.
Sie lächeln. Sie wissen, wir sitzen alle im selben Boot. Sünder unter sich.
Ein paar von den Entschuldigungen auf diesem Blatt stammen von Leuten aus dieser Klasse. Ihr wißt, wer ihr seid. Ihr habt eure Phantasie eingesetzt und euch nicht mit der alten Weckergeschichte begnügt. Ihr werdet euer Leben lang Ausreden brauchen, und es wird euch immer daran liegen, daß sie glaubwürdig und originell sind. Vielleicht werdet ihr irgendwann sogar Entschuldigungen für eure eigenen Kinder schreiben, wenn sie zu spät dran sind, geschwänzt oder sonstwas ausgefressen haben. Das könnt ihr jetzt üben. Stellt euch vor, ihr habt einen fünfzehnjährigen Sohn oder eine fünfzehnjährige Tochter, die eine Entschuldigung dafür braucht, daß ihre Leistungen in Englisch nachgelassen haben. Also, legt euch ins Zeug.
Sie schauten nicht in die Luft, kauten nicht an ihren Stiften, trödelten nicht. Sie wollten sich unbedingt gute Entschuldigungen für ihre fünfzehnjährigen Sprößlinge ausdenken. Es war ein Akt der Loyalität und der Liebe, und wer weiß, vielleicht würden sie den Text ja irgendwann gebrauchen können.
Heraus kam eine Rhapsodie der Kalamitäten, von der Durchfallepidemie in der Familie über den ins Haus krachenden Sattelschlepper bis zu einem schweren Fall von Lebensmittelvergiftung, der auf das Essen in der Kantine der McKee High School zurückgeführt wurde.
Sie sagten, toll, toll, dürfen wir noch mehr schreiben?
Ich erschrak. Wie sollte ich mit dieser Begeisterung umgehen ?
Abermals ein Geistesblitz, eine Erleuchtung, eine Epiphanie,
was immer. Ich ging an die Tafel und schrieb: »Als Hausaufgabe für heute abend.«
Das war ein Fehler. Das Wort Hausaufgabe weckte negative Assoziationen. Ich wischte es weg, und sie sagten, ja, ja.
Ich sagte ihnen, ihr könnt ja hier anfangen und es zu Hause oder auf der Rückseite des Mondes fertigmachen. Ich möchte, daß ihr schreibt …
Ich schrieb an die Tafel: »Eine Entschuldigung von Adam an Gott« oder »Eine Entschuldigung von Eva an Gott«.
Die Köpfe senkten sich. Die Kugelschreiber flogen übers Papier. Das schafften sie mit einer Hand auf dem Rücken. Mit verbundenen Augen. Verstohlenes Lächeln allenthalben. Ah, das macht Spaß, und wir können uns schon vorstellen, was da kommt, oder? Adam schiebt es auf Eva. Eva schiebt es auf Adam. Beide schieben es auf Gott oder Luzifer. Alle sind schuld, bis auf Gott, der das Sagen hat und sie aus dem Paradies schmeißt, so daß ihre Nachkömmlinge an der McKee Vocational and Technical High School landen und Entschuldigungen für den ersten Mann und die erste Frau schreiben, und vielleicht braucht sogar Gott selbst eine Entschuldigung für einige seiner großen Fehler.
Die Glocke läutete, und zum ersten Mal in meiner dreieinhalbjährigen Lehrerlaufbahn sah ich Schüler, die so in eine Aufgabe vertieft waren, daß hungrige Mitschüler sie drängen mußten, endlich Schluß zu machen und hinauszugehen.
He, Lenny. Jetzt komm endlich. Mach’s in der Kantine fertig.
Am nächsten Tag hatte jeder Entschuldigungen, nicht nur von Adam und Eva, sondern auch von Gott und Luzifer, manche mitfühlend, andere fies. Lisa Quinn als Eva rechtfertigte Adams Verführung damit, daß sie es überdrüssig war, tagein, tagaus nur im Paradies herumzuliegen und nichts zu tun zu haben. Außerdem ging es ihr auf die Nerven, daß Gott ständig seine Nase in ihre Angelegenheiten steckte und ihnen nie auch nur einen Augenblick Privatleben gönnte. Er selbst war ja fein raus.
Er konnte sich irgendwo hinter einer Wolke verstecken und ab und zu seine Donnerstimme erschallen lassen, wenn er sah,
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