Tag und Nacht und auch im Sommer
Vietnam. Sein Vater hatte als Kind Polio. Verbringt sein Leben im Rollstuhl. Geben wir ihm doch noch einen Punkt dafür, daß er einen Vater im Rollstuhl und einen Bruder in Vietnam hat.
So bringt er es schließlich auf achtundsechzig Punkte. Achtundsechzig erregen wahrscheinlich weniger Argwohn in Albany, wo die Prüfungsarbeiten angeblich durchgesehen werden. Kaum anzunehmen, daß sie sich jede genau ansehen, bei den vielen tausend, die aus dem ganzen Staat eingehen. Außerdem, sollten doch Rückfragen kommen, werden wir Lehrer Schulter an Schulter unser Benotungssystem verteidigen.
Auf in die Mittagspause.
Mr. Bibberstein, der Beratungslehrer, meinte, falls ich mit einem Schüler oder einer Schülerin Ärger hätte, sollte ich Bescheid sagen, er würde sich darum kümmern. Er sagte, neue Lehrer werden in diesem System wie der letzte Dreck behandelt, gelinde gesagt. Entweder man tritt, oder man geht unter.
Ich berichtete ihm nie von irgendwelchen Schwierigkeiten mit Schülern. So etwas spricht sich herum. Mann, der neue Lehrer, der McCourt, der schickt dich wegen nix und wieder nix zum Beratungslehrer, und der hängt sich sofort ans Telefon und ruft deinen Dad an, und den Rest kannst du dir ausmalen. Mr. Bibberstein scherzte, ich müsse ja ein hervorragender Lehrer sein, wenn ich so gut mit den Schülern klarkäme, daß ich nie einen zu ihm schicken müsse. Er meinte, das müsse mein irischer Charme sein. So auf den ersten Blick machen Sie ja nicht viel her, aber die Mädels mögen Ihren Akzent. Das haben sie mir selbst gesagt, also machen Sie das Beste draus.
Als wir mit der neuen Gewerkschaft, der United Federation
of Teachers, streikten, betätigten sich Mr. Bibberstein, Mr. Tolfsen und Miss Gilfillan, die Zeichenlehrerin, als Streikbrecher. Wir riefen ihnen zu, nicht reingehen, nicht reingehen, aber sie gingen trotzdem rein, und Miss Gilfillan weinte. Die Lehrer, die an den Streikposten vorbeigingen, waren älter als die, die draußen blieben. Vielleicht waren sie Mitglieder der alten Lehrergewerkschaft gewesen, die in der Ära von McCarthys Hexenjagd zerschlagen worden war. Sie wollten nicht noch einmal verfolgt werden, obwohl wir hauptsächlich für die Anerkennung als Gewerkschaft streikten.
Ich hatte Verständnis für die älteren Lehrer, und als der Streik vorbei war, wollte ich mich bei ihnen dafür entschuldigen, daß ich sie angeschrien hatte. Wenigstens wurden sie bei uns nicht mit Schimpfworten überhäuft wie an anderen Schulen. Trotzdem gab es danach an der McKee Animositäten und eine Spaltung des Lehrkörpers, und ich wußte nicht recht, ob ich weiter mit den Leuten befreundet sein konnte, die den Streik sabotiert hatten. Bevor ich Lehrer wurde, war ich Streikposten bei der Gewerkschaft der Hotelangestellten, bei den Lastwagenfahrern und beim Internationalen Hafenarbeiterverband gewesen, und einmal war ich bei einer Bank entlassen worden, bloß weil ich mit einem Gewerkschaftsfunktionär geredet hatte. Es hatte Warnungen gegeben, und niemand wagte sie zu ignorieren. Ein Schritt über diese Linie, Kumpel, und wir wissen, wo du wohnst und wo deine Kinder zur Schule gehen.
Als Streikposten der Lehrergewerkschaft konnten wir solche Sachen nicht sagen. Wir waren Akademiker: Lehrer, College-Absolventen. Als der Streik vorbei war, zeigten wir den Abweichlern in der Lehrerkantine die kalte Schulter. Sie aßen gemeinsam auf der anderen Seite des Raums. Nach einer Weile kamen sie überhaupt nicht mehr in die Kantine, und wir waren unter uns, loyale Mitglieder der United Federation of Teachers.
Mr. Bibberstein würdigte mich fortan auf dem Flur kaum eines Kopfnickens, und von Hilfe mit schwierigen Schülern war
keine Rede mehr. Ich erschrak richtig, als er sich eines Tages vor mir aufbaute und blaffte, was ist das für eine Geschichte mit Barbara Sadlar?
Was meinen Sie?
Sie ist zu mir gekommen und hat gesagt, Sie hätten ihr zugeredet, aufs College zu gehen.
Das stimmt.
Was soll das heißen, das stimmt?
Das soll heißen, ich habe ihr vorgeschlagen, aufs College zu gehen.
Darf ich Sie daran erinnern, daß wir eine berufsbildende und technische High School sind und keine College-Vorstufe? Unsere Schüler gehen in Handwerk und Gewerbe, junger Freund. Fürs College sind die nicht reif.
Ich entgegnete, Barbara Sadlar sei eine der aufgewecktesten Schülerinnen meiner fünf Klassen. Sie schreibe gut, lese Bücher, beteilige sich an Diskussionen, und wenn ich als amtlich zugelassener Lehrer ohne
Weitere Kostenlose Bücher