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Tag und Nacht und auch im Sommer

Tag und Nacht und auch im Sommer

Titel: Tag und Nacht und auch im Sommer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frank McCourt
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das harte Leben des Schriftstellers stöhnte, über die tägliche Pein am Schreibtisch, hätte ich am liebsten entgegnet, ach, von wegen Pein, Dahlberg. Du machst doch nichts weiter, als vormittags ein paar Stunden etwas in die Maschine zu tippen,
und den restlichen Tag liest du und läßt dich von R’lene von vorn bis hinten bedienen. In deinem ganzen Leben hast du noch keinen Tag hart gearbeitet. Einen Tag lang hundertsiebzig Teenager unterrichten, und du würdest mit fliegenden Fahnen wieder in dein verweichlichtes Literatenleben flüchten.
    Wir sahen uns noch ab und zu, bis er mit siebenundsiebzig in Kalifornien starb. Meist lud er mich zum Abendessen ein, mit der Anweisung, meine Fähe mitzubringen. Aus dem Wörterbuch erfuhr ich, daß er mit meiner Fähe meine Frau meinte. Mir wurde klar, daß er sich für meine Fähe mehr interessierte als für mich, und als er vorschlug, wir sollten einen Sommer miteinander verbringen, zu viert, und über Land fahren, wußte ich, was er im Schilde führte: Er wollte unterwegs mal kurz Alberta vernaschen. Der Schlauberger hätte mich mit irgendeinem unnötigen Auftrag weggeschickt und wäre dann züngelnd von seinem Baum herabgeglitten.
    Er rief eines Samstagmorgens an, um uns zum Abendessen einzuladen, und als ich sagte, wir hätten schon etwas vor, fragte er, und was, mein guter irischer Freund, soll ich jetzt mit dem Zeug machen, das ich schon eingekauft habe? Ich sagte, essen Sie’s. Zu was anderem sind Sie ohnehin nicht mehr fähig.
    Das war nicht besonders schlagfertig, aber es war das letzte Wort. Er meldete sich nie mehr bei mir.
     
    Während meiner acht Jahre an der McKee versammelte sich jeden Juni die Englische Abteilung in einem Klassenzimmer, um die Ergebnisse der staatlichen Prüfung zu besprechen und zu benoten. Kaum die Hälfte der Schüler bestand die Prüfung aus eigener Kraft. Den übrigen mußte geholfen werden. Wenn die Punktzahl eines Prüflings in den oberen Fünfzigern lag, versuchten wir, die Benotung so aufzubessern, daß die erforderlichen fünfundsechzig Punkte erreicht wurden.
    Bei den Multiple-Choice-Fragen war nichts zu machen, die Antworten waren entweder richtig oder falsch, aber bei den
Aufsätzen über literarische und allgemeine Themen hatten wir einen gewissen Spielraum. Gebt dem Prüfling auch ein paar Punkte dafür, daß er überhaupt erschienen ist. Klar, was soll’s. Er hätte sich sonstwo rumtreiben und in Schwierigkeiten kommen können, Leute belästigen. Drei Punkte für Anwesenheit, für mustergültiges Staatsbürgertum. Ist seine Schrift leserlich? Sicher. Also noch mal zwei oder drei Punkte.
    Hat der Prüfling jemals einen Lehrer im Unterricht geärgert? Na ja, vielleicht ein-, zweimal. Schon, aber wahrscheinlich nur, weil er provoziert wurde. Außerdem ist sein Vater gestorben, ein Hafenarbeiter, der sich gegen die Mafia gewehrt hat und dafür im Gowanus Canal gelandet ist. Geben wir dem Prüfling noch zwei Punkte dafür, daß er einen Vater hat, der tot im Gowanus liegt. Kommen ja doch noch ein paar Punkte zusammen, nicht?
    Macht der Prüfling Absätze? O ja. Sehen Sie mal, er hat sogar Einrückungen. Der Prüfling ist ein Meister der Einrückung. Das sind eindeutig drei Absätze hier.
    Hat er in seinen Absätzen auch Rückbezüge zum Thema? Na ja, man könnte sagten, daß der erste Satz einen Rückbezug beinhaltet. Okay, geben wir ihm noch drei Punkte für seine Rückbezüge zum Thema. Also, wieviel haben wir jetzt? Dreiundsechzig ?
    Ist er ein netter Junge? Ja, durchaus. Hilfsbereit im Unterricht ? Ja, er hat seinem Sozialkundelehrer die Schwämme ausgewaschen. Höflich auf dem Flur? Er hat immer guten Morgen gesagt. Schauen Sie, er hat seinem Aufsatz die Überschrift »Recht oder Unrecht; ich steh zu meinem Vaterland« gegeben. Das ist doch was, oder? Ganz schön clever, so eine Überschrift, nicht wahr? Könnten wir ihm nicht drei Extrapunkte für das patriotische Thema und einen dafür geben, daß er einen Strichpunkt gemacht hat, obwohl da eigentlich ein Doppelpunkt stehen müßte? Ist das wirklich ein Strichpunkt, oder ist es ein Fliegenschiß? Manche von unseren Schülern wissen noch nicht mal, daß es Doppelpunkte gibt, und es ist ihnen auch egal, und
wollte man sich hinstellen und ihnen den Unterschied zwischen dem Doppelpunkt und seinem Vetter, dem Strichpunkt, erklären, sie würden sofort den Paß verlangen.
    Warum geben wir ihm nicht noch drei Punkte mehr? Er ist ein netter Junge, und sein Bruder Stan ist in

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