Tag und Nacht und auch im Sommer
unterrichten, einer aufgelassenen Grundschule am East River. Meine Teenager fanden es unbequem und unzumutbar, sich in Kindermöbel zu zwängen.
Die Schule war ein Schmelztiegel: Juden, Chinesen, Puertoricaner, Griechen, Dominikaner, Russen, Italiener, und ich hatte keine Erfahrung im Unterrichten von Englisch als Fremdsprache.
Teenager wollen lässig sein. Egal, was die Eltern sagen oder Erwachsene im allgemeinen. Sie wollen sich auf der Straße behaupten und die richtige Sprache draufhaben. Sie wollen kunstgerecht fluchen. Wenn du fluchen und lästern kannst, bist du ein Mann, Mann.
Und wenn du irgendwo rumhängst und so eine sexy weiße Mieze daherkommt, kannst du so lässig aussehen, wie du willst, Mann, wenn du kein Wort rausbringst oder so einen blöden ausländischen Akzent hast, schaut sie dich nicht mal an, und dann bist du wieder zu Hause, Mann, spielst an dir selber rum und bist stinksauer, weil dieses Englisch so was von einer Scheißsprache ist und total unlogisch und du’s nie lernen wirst. Du bist in Amerika, und du mußt dich ranhalten, Mann.
Also, Herr Lehrer, vergessen Sie Ihre hochtrabende englische Literatur, und beschränken Sie sich aufs Notwendigste. Aufs kleine Alphabet, a-b-c, Mann. Reden Sie, reden Sie, aber sprechen Sie langsam.
Die Glocke läutet, und ich komme mir vor wie im Turm von Babel.
Entschuldigung.
Sie ignorieren mich, oder sie verstehen die sanfte Aufforderung nicht.
Noch einmal. Entschuldigung.
Ein großer rothaariger dominikanischer Junge sucht meinen Blick. Mister, soll ich Ihnen helfen?
Er steigt auf seinen Tisch, und alles johlt und klatscht, denn auf Tische zu klettern ist streng verboten, und der Rote Oscar traut sich, vor den Augen eines Lehrers der Obrigkeit zu trotzen.
He, sagt Oscar. Mira .
Ein Chor von Miras erhebt sich, mira, mira, mira, mira , mira , bis Oscar die Hände hebt und He brüllt. Maul halten. Hört auf den Lehrer.
Danke, Oscar, aber würdest du da bitte wieder runterkommen ?
Eine Hand geht hoch. Also, Mister. Wie heißen Sie eigentlich ?
Ich schreibe Mr. McCourt an die Tafel und spreche es aus.
He, Mister, sind Sie Jude?
Nein.
Alle Lehrer an der Schule hier sind Juden. Wieso sind Sie keiner ?
Ich weiß nicht.
Sie wirken überrascht, fassungslos, und der gewisse Blick wandert durch den Raum. Der Blick besagt, hast du das gehört, Miguel? Der da oben, der Lehrer, er weiß es nicht.
Ein heikler Moment. Der Lehrer bekennt, daß er was nicht weiß, und der Klasse verschlägt es die Sprache. Die Maske ist ab, Lehrer, was für eine Erleichterung. Du bist nicht mehr Mister Allwissend.
Ein paar Jahre zuvor hätte ich einer von ihnen sein können, ein Angehöriger der bedrückten Massen. Unter diesen Einwandererkindern fühle ich mich wohl. Ich kann Englisch, aber ihre
Verwirrung ist mir nicht fremd. Die allerunterste Stufe der gesellschaftlichen Hierarchie. Ich könnte die Lehrermaske ablegen, zwischen den Tischen durchgehen, mich zu ihnen setzen und sie nach ihren Familien fragen, wie es war in der alten Heimat, ihnen von mir erzählen, von meinen verschlungenen Wegen, wie ich mich jahrelang hinter der Maske versteckt habe, mich genaugenommen immer noch hinter ihr verstecke; wie schön wäre es, wenn ich diese Tür abschließen und die Welt aussperren könnte, bis sie gut genug Englisch sprechen und lässig genug sind, um die sexy weiße Mieze anzusprechen und ihr zu sagen, daß sie nichts gegen ein bißchen Action einzuwenden hätten.
Wär das nicht schön?
Ich sehe mir diese jungen Leute von sämtlichen Kontinenten an, Gesichter jeder Farbe und Form, Gottes Reichtum auf Erden: Asiaten mit Haaren, die schwärzer und glänzender sind als alles, was man je in Europa gesehen hat, die großen braunen Augen hispanischer Jungen und Mädchen, schüchtern die einen, rüpelhaft die anderen, aufgeblasene Jungs, scheue Mädchen.
Nancy Chu erkundigt sich, ob sie mich nach der letzten Stunde sprechen kann. Sie bleibt an ihrem Tisch sitzen und wartet, bis sich der Raum geleert hat. Sie erinnert mich, daß sie schon das zweite Jahr in eine meiner Klassen geht.
Ich bin vor drei Jahren aus China gekommen.
Dein Englisch ist sehr gut, Nancy.
Danke. Ich habe Englisch von Fred Astaire gelernt.
Fred Astaire?
Ich kenne alle Songs aus seinen Filmen. Mein Lieblingsfilm ist Ich tanz mich in dein Herz hinein . Ich singe die ganze Zeit seine Songs. Meine Eltern erklären mich für verrückt. Meine Freundinnen auch. Die kennen bloß Rockmusik, und damit
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