Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Tag und Nacht und auch im Sommer

Tag und Nacht und auch im Sommer

Titel: Tag und Nacht und auch im Sommer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frank McCourt
Vom Netzwerk:
Löcher in die Luft. Sie kuschten erst, als Big George hereinplatzte und sie auf spanisch anbrüllte. Mir tat es leid, daß es zu solchen Mißhelligkeiten in der Umkleide gekommen war, und ich wollte die drei zahlenden Kunden entschädigen, indem ich ihnen unter der Hand Wörter wie Teppich, Glühbirne, Kehrschaufel und Besen zusteckte, aber sie sagten, ihnen sei jetzt alles egal, meine Kehrschaufel könne ich mir sonstwohin schieben und aus welchem Land ich noch angeblich stammte.
    Irland.
    Ja, si . Ich geh wieder nach Puerto Rico. Mir steht Englisch bis hier. Zu schwer. Krieg Halsweh davon.
    Big George sagte, he, Irenjunge. Mach dir nichts draus. Du bist’n klasse Lehrer. Jetzt kommt ihr alle mal mit in die Küche, und es gibt Pfirsichkuchen.
    Aber den Kuchen bekamen wir nicht, denn Big George hatte einen Herzanfall und brach über einer offenen Flamme auf dem Gasherd zusammen. Es hieß, man habe sein verbranntes Fleisch riechen können.

     
    Nancy träumt davon, mit ihrer Mutter in einen Fred-Astaire-Film zu gehen, weil ihre Mutter nie rauskommt, und dabei ist sie eine so intelligente Frau. Ihre Mutter kann chinesische Lyrik rezitieren, vor allem Li Po. Haben Sie schon mal von Li Po gehört, Mr. McCourt?
    Nein.
    Sie erzählt vor der Klasse, der Grund, warum ihre Mutter Li Po liebe, sei, daß er auf eine so wunderschöne Art gestorben sei. In einer Vollmondnacht trank er Reiswein, fuhr mit dem Boot auf den See hinaus und war so überwältigt vom Spiegelbild des Mondes im See, daß er sich über die Bordwand beugte, um es zu umarmen, in den See fiel und ertrank.
    Nancys Mutter liefen immer die Tränen über die Wangen, wenn sie davon sprach, und sie träumte davon, nach China zurückzukehren, sobald sich dort die Verhältnisse besserten, und in einem Boot auf diesen See hinauszufahren. Nancy selbst hatte Tränen in den Augen, als sie erzählte, ihre Mutter habe gesagt, wenn sie sehr alt werden oder schwer krank sein sollte, würde sie sich auch über die Bordwand beugen und wie ihr geliebter Li Po den Mond umarmen.
    Als es klingelt, springen sie nicht von ihren Stühlen auf. Sie drängeln und schubsen nicht. Sie packen ihre Sachen zusammen und gehen einer nach dem anderen still hinaus, und ich bin sicher, daß sie Mond- und Seebilder im Kopf haben.
     
    1968, an der Seward Park High School, wurde ich vor die größte Herausforderung meiner Lehrerlaufbahn gestellt. Ich hatte die üblichen fünf Klassen: drei mit Englisch als Fremdsprache und zwei normale neunte Englischklassen. Eine der beiden neunten Klassen bestand aus neunundzwanzig schwarzen Mädchen und zwei puertoricanischen Jungen, die in einer Ecke saßen, sich um ihren eigenen Kram kümmerten und nie ein Wort sagten. Wenn sie doch einmal den Mund aufmachten, hatten sie sofort die Mädchen gegen sich: Wer hat denn euch gefragt? In
dieser Gruppe waren alle einschlägigen Konflikte angelegt: Geschlechterkonflikt, Generationenkonflikt, Kulturkonflikt, Rassenkonflikt.
    Die Mädchen ignorierten mich, den weißen Typen, der da oben stand und um ihre Aufmerksamkeit buhlte. Sie hatten wichtige Sachen zu besprechen. Es gab immer irgendein Abenteuer vom Abend zuvor. Jungen. Jungen. Jungen. Serena sagte, sie gehe nicht mit Jungen. Sie gehe mit Männern. Sie hatte orangerotes Haar, und ihre Haut war karamelbraun. Sie war so dürr, daß auch die engsten Kleider lose an ihr herabhingen. Sie war fünfzehn und der Mittelpunkt der Klasse, diejenige, die jeden Streit schlichtete, jede Entscheidung fällte. Eines Tages sagte sie den anderen, ich mag kein Anführer sein. Wenn ihr mit mir herumhängen wollt, dann macht’s einfach.
    Gelegentlich forderte eines der anderen Mädchen sie heraus, versuchte, ihr Paroli zu bieten. He, Serena, wieso gehst du mit alten Männern? Die bringen’s doch nicht.
    Und ob, zum Beispiel fünf Dollar auf die Hand.
    Sie beschwerten sich bei mir, warum machen wir nie was? Andere Klassen machen dauernd was.
    Ich brachte ein Tonbandgerät mit. Bestimmt würden sie sich gern selbst reden hören. Serena nahm das Mikrophon.
    Meine Schwester ist gestern abend geschnappt worden. Meine Schwester ist ein anständiger Mensch. Sie hat nur zwei Schweinekoteletts aus dem Laden mitgehen lassen. Weiße lassen auch Koteletts und so mitgehen, aber die werden nicht geschnappt. Ich hab selber schon weiße Frauen mit Steaks unterm Kleid rausgehen sehen. Jetzt sitzt meine Schwester bis zur Verhandlung im Knast.
    Sie machte eine Pause, schaute mich zum ersten Mal an

Weitere Kostenlose Bücher