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Tag und Nacht und auch im Sommer

Tag und Nacht und auch im Sommer

Titel: Tag und Nacht und auch im Sommer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frank McCourt
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Reden schwingt, hat wenigstens ein Schwert, um sich zu wehren, damit ihn keiner in den Fluß schmeißt.
    Hamlet?
    Ja, und wissen Sie was?
    Ja?
    Er war so fies zu seiner Mom, und dabei ist er ein Prinz und so. Warum hat sie ihm nicht einfach eine geknallt?
    Serena, die Intelligente, meldet sich wie ein ordentliches Schulmädchen in einer ordentlichen Klasse. Ich starre ihre Hand an. Bestimmt wird sie den Paß verlangen. Sie sagt, Hamlets Mom ist eine Königin. Königinnen laufen nicht rum und teilen Ohrfeigen aus. Wenn du Königin bist, brauchst du Würde.
    Sie sieht mich mit diesem direkten Blick an, der fast eine Herausforderung ist, die Augen weit offen und schön und unerschrocken, ein angedeutetes Lächeln. Diese schmale fünfzehnjährige Schwarze kennt ihre Macht. Ich spüre, wie ich rot werde, und erneut fängt die ganze Klasse zu kichern an.
     
    Am folgenden Montag erscheint Serena nicht zum Unterricht. Die Mädchen sagen, sie wird nie mehr wiederkommen, weil nämlich ihre Mutter geschnappt worden ist, wegen Drogen und so, und jetzt muß Serena bei ihrer Großmutter in Georgia leben, wo, das sagen alle, Schwarze wie Nigger behandelt werden. Sie sagen, Serena hält’s da bestimmt nicht lange aus. Sie wird in Null Komma nix in Schwierigkeiten kommen, weil sie den Weißen immer so freche Antworten gibt. Und dann hat sie das schlimme Wort gesagt, Mr. McCourt.
    Ohne Serena veränderte sich die Klasse, ein Rumpf ohne Kopf. Maria hob die Hand und fragte mich, warum ich so komisch spreche. Ob ich verheiratet sei. Ob ich Kinder hätte. Was mir besser gefallen habe, Hamlet oder Cold Turkey . Warum ich Lehrer geworden sei.

    Sie bauten Brücken, hielten sich aber den Rückzug offen. Ich beantwortete ihre Fragen und kümmerte mich nicht darum, ob ich ihnen zuviel von mir verriet. Bei wie vielen Priestern hatte ich gebeichtet, als ich so alt war wie diese Mädchen? Sie hörten mir zu, und nur das zählte.
    Einen Monat nach Serenas Weggang gab es zwei schöne Augenblicke. Claudia hob die Hand und sagte, Mr. McCourt, Sie sind richtig nett. Die anderen nickten zustimmend, und die puertoricanischen Jungen lächelten im Hintergrund.
    Dann meldete sich Maria. Mr. McCourt, ich hab einen Brief von Serena bekommen. Sie schreibt, es ist der erste Brief ihres Lebens, und sie hätt ihn nicht geschrieben, aber ihre Oma hat’s ihr angeschafft. Sie hat ihre Oma vorher nicht gekannt, aber sie liebt sie, weil sie nicht lesen und schreiben kann, und Serena liest ihr jeden Abend aus der Bibel vor. Halten Sie sich fest, Mr. McCourt, sie schreibt, sie wird die High School fertigmachen und aufs College gehen und kleine Kinder unterrichten. Keine großen Kinder wie uns, wir sind ja die reinsten Nervensägen, sondern kleine Kinder, die nicht widersprechen, und sie sagt, es tut ihr leid, was sie in dieser Klasse gemacht hat, und ich soll Ihnen das ausrichten. Irgendwann mal schreibt sie Ihnen auch einen Brief.
    In meinem Kopf ein Feuerwerk. Wie Silvester und Vierter Juli zusammen, nur tausendmal schöner.

11
    S eit zehn Jahren Lehrer, achtunddreißig Jahre alt, und wenn ich mich selbst einschätzen sollte, würde ich sagen, du beißt dich durch, und gar nicht mal schlecht. Andere Lehrer stellen sich jeden Tag vor die Klasse und scheren sich einen Fiedlerfurz darum, was ihre Schüler von ihnen denken. Nur der Lehrstoff zählt. Solche Lehrer sind mächtig. Sie beherrschen das Klassenzimmer mit ihrer Persönlichkeit und einer allgegenwärtigen Drohung: dem Rotstift, der das gefürchtete F ins Zeugnis schreibt. Ihre Botschaft an die Schüler lautet: Ich bin euer Lehrer, nicht euer Berater, nicht euer Vertrauter und auch nicht euer Vater oder eure Mutter. Ich unterrichte ein Fach. Lernt, oder laßt es bleiben.
    Ich denke mir oft, ich sollte ein strenger, disziplinierter Lehrer sein, durchorganisiert und zupackend, ein John Wayne der Pädagogik, ein irischer Schulmeister mit Zeigestab, Riemen und Rohrstock. Strenge Lehrer bieten vierzig Minuten lang ihre Waren feil. Verdaut den Stoff, Kinder, und denkt dran, daß ihr ihn am Prüfungstag wieder hochwürgen müßt.
    Manchmal scherze ich: Setz dich auf deine vier Buchstaben, Junge, und sei still, sonst reiß ich dir den Kopf ab. Dann lachen sie, weil sie mich kennen. Ist er nicht süß? Wenn ich den harten Burschen spiele, hören sie höflich zu, bis der Anfall vorbei ist. Sie kennen mich. Ich sehe meine Klasse nicht als geschlossene Einheit. Ich habe Gesichter vor mir, die verschiedene Abstufungen von

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