Tag und Nacht und auch im Sommer
Interesse oder Gleichgültigkeit erkennen lassen. Gleichgültigkeit regt mich auf. Warum schwätzt der kleine Mistkerl mit seiner Nachbarin, statt mir zuzuhören? Entschuldige, James, aber hier läuft eine Unterrichtsstunde.
Ach ja, klar.
Es gibt Momente und Blicke. Sie sind vielleicht zu schüchtern, um einem zu sagen, das war eine gelungene Stunde, aber man sieht an der Art, wie sie hinausgehen und wie sie einen dabei ansehen, ob es ein Erfolg war oder etwas, was man getrost vergessen kann. Die anerkennenden Blicke wärmen einem das Herz auf der Fahrt nach Hause.
Egal, was sich im Klassenzimmer abspielte, es gab Regeln von den hohen Herren, die für die High Schools von New York zuständig waren:
Die Schüler dürfen nicht lärmen. Sie dürfen nicht in den Klassenzimmern oder auf den Gängen herumlaufen. In einer lauten Umgebung kann man nicht lernen.
Das Klassenzimmer ist kein Spielplatz. Niemand darf mit Gegenständen werfen. Will ein Schüler eine Frage stellen oder eine beantworten, muß er die Hand heben. Er darf nicht einfach drauflosreden. Das Tohuwabohu, das entstehen kann, wenn die Schüler einfach drauflosreden, macht einen schlechten Eindruck auf Beamte der Schulbehörde von Brooklyn oder auswärtige Lehrer, die zu Besuch an unserer Schule weilen.
Der Gebrauch des Toilettenpasses ist auf ein Minimum zu beschränken. Jeder kennt die gängigen Tricks mit dem Toilettenpaß. Ein Schüler, der den Paß bekommt, um auf die Toilette im ersten Stock zu gehen, wird schon mal dabei ertappt, wie er durchs Fenster in ein Klassenzimmer linst, in dem ein Mädchen sitzt, in das er sich verliebt hat und das ihn seinerseits anschmachtet. Dergleichen darf nicht geduldet werden. Manche Jungen und Mädchen benutzen den Paß, um sich im Kellergeschoß oder im Treppenhaus zu treffen, wo sie von wachsamen Konrektoren bei ihrem verbotenen Tun erwischt werden, die daraufhin Meldung erstatten und die Eltern anrufen. Andere benutzen den Paß, um in einem stillen Eckchen zu rauchen. Der Toilettenpaß berechtigt nur zum Aufsuchen der Toilette und darf nicht für andere Zwecke mißbraucht werden. Die Schüler
sollten mit dem Paß nicht länger als fünf Minuten dem Unterricht fernbleiben. Tun sie es doch, hat der Lehrer das Rektorat zu informieren, das daraufhin den Hausmeister beauftragt, die einschlägigen Örtlichkeiten zu inspizieren und dafür zu sorgen, daß nichts Ungehöriges geschieht.
Rektoren wollen Ordnung, Routine, Disziplin. Sie patrouillieren durch die Gänge. Sie spähen durch die Türfenster in die Klassenzimmer. Sie wollen Jungen und Mädchen sehen, die über Bücher und Hefte gebeugt sitzen, Jungen und Mädchen, die schreiben, Jungen und Mädchen, die sich eifrig melden, um die Fragen der Lehrkraft zu beantworten.
Gute Lehrer führen ein strenges Regiment. Sie erhalten die Disziplin aufrecht, was unerläßlich ist an den berufsbildenden High Schools in New York, die nicht immer von den Problemen der Bandenbildung verschont bleiben. Man muß ein Auge auf die Banden haben. Diese können eine ganze Schule in den Griff kriegen, und dann gute Nacht.
Auch Lehrer lernen. Wer etliche Jahre im Klassenzimmer verbracht, vor Tausenden von Teenagern gestanden hat, vermag jeden, der das Zimmer betritt, instinktiv einzuschätzen. Er sieht die Seitenblicke. Er erkennt schon an der Atmosphäre, die in einer neuen Klasse herrscht, ob er eine nervtötende Gruppe vor sich hat oder eine, mit der man arbeiten kann. Er erkennt die Schüchternen, die er ermuntern, und die Großmäuler, die er zum Schweigen bringen muß. Er sieht schon allein daran, wie ein Junge dasitzt, ob er mitarbeiten oder sich als Störenfried betätigen wird. Es ist ein gutes Zeichen, wenn ein Schüler sich gerade hinsetzt, die Hände vor sich auf dem Tisch faltet, den Lehrer ansieht und lächelt. Es ist ein schlechtes Zeichen, wenn er sich zurücklehnt, die Beine unter dem Tisch hervorstreckt und aus dem Fenster, an die Decke oder über den Kopf des Lehrers schaut. Achtung, Ärger.
In jeder Klasse gibt es einen Quälgeist, dessen einziger Daseinszweck es ist, die Geduld des Lehrers auf die Probe zu stellen.
Er sitzt meist in der letzten Reihe, damit er seinen Stuhl gegen die Rückwand kippen kann. Auf die Gefahren des Kippelns hat man die Klasse längst hingewiesen: Der Stuhl könnte wegrutschen, Kinder, und ihr könntet euch verletzen. Dann muß ich als Lehrer einen Bericht schreiben, für den Fall, daß die Eltern sich beschweren oder damit drohen, die
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