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Tag und Nacht und auch im Sommer

Tag und Nacht und auch im Sommer

Titel: Tag und Nacht und auch im Sommer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frank McCourt
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Schule zu verklagen.
    Andrew weiß, daß er dich mit seinem Kippeln ärgern oder zumindest deine Aufmerksamkeit auf sich ziehen kann. Dann kann er ein Spielchen spielen, mit dem er sich bei den Mädchen interessant macht. Du sagst, he, Andrew.
    Er läßt sich Zeit. Das ist ein Showdown, Mann, die Mädchen sehen zu.
    Hä?
    Eine beliebte Lautäußerung von Teenagern. Eltern bekommen sie ständig zu hören. Sie bedeutet soviel wie, was willst du? Laß mich in Ruhe!
    Der Stuhl, Andrew. Hör bitte auf damit.
    Wieso, ich sitz hier doch bloß und tu nix.
    Der Stuhl, Andrew, hat nicht ohne Grund vier Beine. Kippeln auf zwei Stuhlbeinen kann zu Unfällen führen.
    Stille. High Noon im Klassenzimmer. Du weißt, daß du diesmal ziemlich gute Karten hast. Du spürst, daß Andrew in seiner Gruppe nicht beliebt ist, und er weiß, daß er keine Unterstützung bekommen wird. Er ist blaß und mager, ein Einzelgänger. Trotzdem sind alle gespannt. Sie mögen ihn vielleicht nicht, aber wenn du ihn schikanierst, werden sie sich gegen dich wenden. Wenn es heißt Schüler gegen Lehrer, halten sie zu ihrem Mitschüler. Und alles wegen eines gekippten Stuhls.
    Du hättest es durchgehen lassen können. Keinem wäre etwas aufgefallen. Also, Lehrer, wo liegt das Problem? Ganz einfach. Andrew hat vom ersten Tag an gezeigt, daß er dich nicht leiden kann, und du kannst es nicht leiden, wenn einer dich nicht leiden kann, schon gar nicht, wenn der ein kleiner Scheißer ist, den die ganze Klasse nicht leiden kann. Andrew weiß, daß dir
die Mädchen lieber sind. Natürlich sind dir die Mädchen lieber. Gebt mir fünf Klassen mit überwiegend Mädchen, und ich bin im Paradies. Abwechslung. Farbe. Spiele. Dramatik.
    Andrew wartet. Die Klasse wartet. Der Stuhl steht immer noch schief. Oh, welche Versuchung, eines der Stuhlbeine zu packen und kurz zu ziehen. Sein Kopf würde an der Wand runterrutschen, und alle würden lachen.
    Ich wende mich von Andrew ab. Ich weiß nicht, warum ich mich abwende und nach vorn gehe, und schon gar nicht weiß ich, was ich tun oder sagen werde, wenn ich am Pult angekommen bin. Sie sollen nicht denken, daß ich klein beigebe. Ich muß etwas tun. Andrews Kopf lehnt an der Wand, und er hat sein dünnes verächtliches Lächeln aufgesetzt.
    Andrews wallendes rotes Haar geht mir genauso gegen den Strich wie seine feinen Züge. Und die Anmaßung, die in dieser Zartheit liegt. Manchmal, wenn ich mich für ein Thema erwärmt habe, die Klasse mir zuhört und ich richtig schön in Fahrt komme, richtig stolz auf mich bin, schaue ich nach hinten, sehe diesen kalten, starren Blick und frage mich, soll ich versuchen, ihn für mich zu gewinnen, oder ihn fertigmachen?
    Eine innere Stimme sagt mir, mach was draus. Eine Lektion in Beobachtungsgabe. Tu so, als hättest du alles geplant. Und ich sage zur Klasse, also, was geht hier vor? Verständnislose Blicke. Sie sind verblüfft.
    Du sagst, stellt euch vor, ihr seid Zeitungsreporter. Ihr seid vor ein paar Minuten hier reingekommen. Was habt ihr gesehen ? Was habt ihr gehört? Welche Story steckt dahinter?
    Michael antwortet. Keine Story. Bloß Andrew, der sich wieder mal wie ein Arschloch benimmt.
    Andrews verächtliches Lächeln verschwindet, und ich spüre, daß er unsicher wird. Ich werde nicht mehr viel sagen müssen. Ich werde weiter solche Fragen stellen und seine Verurteilung der Klasse überlassen. Das wird ihm für immer dieses Lächeln austreiben, dem kleinen Scheißer, und er wird nie mehr kippeln.

    Ich spiele den vernünftigen, sachlichen Lehrer. Eine solche Bemerkung, Michael, ist aber für den Leser nicht besonders informativ.
    Schon, aber wer braucht denn hier Informationen? Würde vielleicht ein Typ von den Daily News hier reinmarschieren und dann einen Mordsartikel über Andrew und den Stuhl schreiben und daß der Lehrer stinksauer ist?
    Seine Freundin meldet sich.
    Ja, Diane?
    Sie wendet sich an die Klasse. Mr. McCourt hatte gesagt …
    Hat gesagt, Diane.
    Sie hält inne. Sie überlegt. Sie sagt, sehen Sie, Mr. McCourt, genau das läuft schief auf dieser Welt. Da will man wem andern helfen, und im nächsten Moment krittelt der an allem rum, was man sagt. Das kränkt einen. Ich meine, es ist völlig in Ordnung, daß Sie Andrew sagen, er soll seinen Stuhl richtig hinstellen, weil er sich seinen blöden Schädel aufschlagen könnte, aber es gibt keinen Grund, jemand, der was sagt, ständig zu verbessern. Sie können das ruhig machen, aber dann machen wir nie wieder den

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