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Tag und Nacht und auch im Sommer

Tag und Nacht und auch im Sommer

Titel: Tag und Nacht und auch im Sommer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frank McCourt
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Büromädchen Dublins. Ob eine von ihnen mit mir nach Coney Island, Far Rockaway oder zu den Hamptons durchbrennen würde?
    Ich beobachtete die Enten im Teich und beneidete sie. Sie mußten den ganzen Tag nur quaken, paddeln und den Schnabel aufmachen, wenn ein Leckerbissen daherkam. Sie brauchten sich keine Sorgen über die Dissertation zu machen, die mich schier umbrachte. Wie und warum war ich da reingeraten? Mein Gott, ich hätte in New York sein können, zufrieden mit meinem Schicksal, meine fünf Stunden täglich halten, heimfahren, ein Bier trinken, ins Kino gehen, ein Buch lesen, der Frau schöntun und ab ins Bett.
    Aber nein, Frankie, die Rotznase aus dem Armenviertel von Limerick, bildet sich ein, er muß sich über seinen Stand erheben, die soziale Stufenleiter erklimmen, sich unter bessere Leute mischen, das Niveau des Trinity College erreichen.
    Das hast du jetzt von deinem armseligen Ehrgeiz, Frankie. Warum läufst du nicht gleich rüber in das Geschäft und kaufst dir einen Trinity-Schal? Vielleicht hebt das ja deine Laune und hilft dir beim Abfassen der großen bahnbrechenden Untersuchung der irisch-amerikanischen literarischen Beziehungen von 1889 bis 1911.
    Es gibt ja angeblich eine Tätigkeit, die man »sich zusammenreißen« nennt. Ich versuchte es, aber es war nichts zum Zusammenreißen da.
    Das zweite Jahr in Dublin verläpperte sich. Ich konnte dort meine Nische nicht finden. Ich hatte weder die Persönlichkeit noch das Selbstvertrauen, um mich in eine Gruppe zu drängen,
einer von den Jungs zu werden, eine Lokalrunde zu schmeißen und witzige Bemerkungen zu machen, wie man sie angeblich in irischen Pubs hört.
    Ich saß in der Bibliothek und vermehrte meinen Karteikartenbestand. Von der Trinkerei wurde ich nicht gerade klarer im Kopf. Ich lief stundenlang durch die Stadt, die eine Straße rauf, die andere runter. Ich lernte eine Frau kennen, eine Protestantin, und wir gingen ins Bett. Sie verliebte sich in mich, und ich wußte nicht, warum.
    Ich lief durch die Straßen von Dublin und hielt Ausschau nach der Tür. Ich hatte die Vorstellung, daß es in jeder Stadt einen Eingang für den Außenseiter und den Reisenden gibt. In New York waren das für mich Schulen, Kneipen und Freundschaften. In Dublin fand ich keine Tür, und schließlich wurde mir klar, was mir fehlte: Ich hatte Heimweh nach New York. Anfangs wehrte ich mich gegen dieses Gefühl. Geh weg. Laß mich in Ruhe. Ich liebe Dublin. Schau dir die Geschichte an. Auf Schritt und Tritt stößt man hier auf die Vergangenheit. Als Kind in Limerick hatte ich von Dublin geträumt. Ja, aber, ja, aber ja, wie mein Onkel Pa Keating gesagt hätte, du gehst auf die Vierzig zu, also wird’s langsam Zeit, entweder zu scheißen oder vom Topf runterzugehen.
    Bevor ich das Trinity verließ, warf Professor Walton einen Blick auf meine Karteikarten und sagte, o weh, o weh.
     
    Im Januar 1971 kehrte ich nach New York zurück, als gescheiterter Doktorand. Alberta war schwanger. Die Empfängnis hatte im Sommer zuvor stattgefunden, während unseres vierzehntägigen Aufenthalts auf Nantucket. Ich sagte ihr, ich könne meine Forschungsarbeit in der Forty-second Street Library in New York fortsetzen. Sie war beeindruckt von meinem Koffer voller Karteikarten, wollte aber wissen, wozu die gut seien.
    Jeden Samstag saß ich im südlichen Lesesaal der Bibliothek in der Forty-second Street. Eigentlich hätte ich im nördlichen
Lesesaal sitzen müssen, in der Literaturabteilung, aber ich fand die Lebensbeschreibungen der Heiligen im südlichen Teil, und die waren so spannend, daß ich nicht an ihnen vorbeikam. Dann stieß ich auf Berichte über den Bau der Transcontinental Railroad. Die Iren und die Chinesen hatten sich, aus entgegengesetzten Richtungen vorstoßend, einen Wettlauf geliefert, die Iren hatten getrunken und sich ihre Gesundheit ruiniert, während die Chinesen Opium rauchten und sich ausruhten, die Iren hatten wahllos alles in sich hineingestopft, während die Chinesen sich von den Speisen nährten, die sie kannten und liebten, die Chinesen hatten nie bei der Arbeit gesungen, die Iren dagegen ununterbrochen, nicht daß es ihnen viel genützt hätte, den armen verrückten Iren.
    Alberta nahm Mutterschaftsurlaub, und ich machte die Vertretung. Aber einen Monat nachdem ich wieder an der Seward Park High School angefangen hatte, starb der Rektor an einem Herzinfarkt. Im Aufzug lernte ich den neuen Rektor kennen, und das war ebenjener Fachbereichsleiter, der

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