Tag und Nacht und auch im Sommer
benachbartes Pub: Neary’s, McDaid’s oder das Bailey. Ein Sandwich muß mit einem Pint runtergespült werden, aber mit einem Flügel kann bekanntlich kein
Vogel fliegen. Ein zweites Pint löste mir vielleicht die Zunge und verhalf mir so zu einem Schwatz mit anderen Gästen, und schon bald hatte ich das Gefühl, mich blendend zu unterhalten. Wenn die Pubs zur heiligen Nachmittagsstunde zumachten, ging ich wieder auf einen Kaffee ins Bewley’s. Es war ein einziges Hinausschieben. Wochen vergingen, und meine Erforschung der literarischen Beziehungen zwischen Irland und Amerika führten zu nichts. Ich sagte mir, ein Ignorant wie ich, der keine Ahnung von der amerikanischen und nur lückenhafte Kenntnisse von der irischen Literatur hatte, müsse sich erst um Hintergrundwissen bemühen. Und das hieß, Bücher über die Geschichte beider Länder lesen. Wenn ich über irische Geschichte las, schrieb ich alle Hinweise auf Amerika säuberlich auf Karteikarten. Las ich über amerikanische Geschichte, notierte ich jeden Hinweis auf Irland auf Karteikarten.
Aber damit nicht genug, ich mußte jetzt auch die wichtigsten Autoren lesen und feststellen, wie sie ihre Kollegen auf der anderen Seite des Atlantiks beeinflußt hatten oder von ihnen beeinflußt worden waren. Sicher hatte Yeats amerikanische Verbindungen und Einflüsse. Sicher war Edmund Dowden vom Trinity College einer der ersten Europäer, die sich für Walt Whitman einsetzten, aber was sollte ich mit alldem anfangen? Was sollte ich schreiben? Und würde sich irgendwer einen Fiedlerfurz darum scheren?
Ich machte auch andere Entdeckungen und folgte Fährten, die mich weit weg führten vom amerikanischen Transzendentalismus und der irischen Renaissance. Ich las Berichte von Iren, die beim Bau des Erie-Kanals und der Pacific Railroad und im Sezessionskrieg hackten und gruben und kämpften und sangen. Iren kämpften oft auf verschiedenen Seiten gegen ihre eigenen Brüder und Vettern. Es schien, als hätten die Iren überall, wo es Krieg gab, auf beiden Seiten gekämpft, sogar in Irland. In der Schule in Limerick hatten wir mehrmals die lange, traurige Geschichte von Irlands Martyrium unter der angelsächsischen
Knute gehört, aber kaum ein Wort über die Iren in Amerika und wie sie bauten und kämpften und sangen. Jetzt las ich von irischer Musik in Amerika, dem Einfluß und Einfallsreichtum der Iren in der amerikanischen Politik, von den Heldentaten der Irischen Brigade, von den Millionen, die John F. Kennedy den Weg ins Oval Office ebneten. Ich las, wie viele Yankees überall in Neuengland die Iren diskriminierten und wie die Iren zurückschlugen und Bürgermeister, Gouverneure und Parteichefs wurden.
Ich hatte einen eigenen Stapel Karteikarten für die Geschichte der Iren in Amerika, und er wurde erheblich dicker als der für die literarischen Beziehungen. All das reichte aus, mich von den Pubs zur Mittagszeit fernzuhalten, aber auch von der Arbeit, die ich eigentlich in die Erforschung der irisch-amerikanischen literarischen Beziehungen hätte stecken müssen.
Ob ich wohl mein Thema wechseln konnte? Würde das College mir erlauben, über die Iren in Amerika zu arbeiten, ihre Rolle in Politik, Musik, Militär, Unterhaltung?
Professor Walton meinte, bei den Anglisten sei das nicht möglich. Offenbar ziehe es mich ja mehr zur Geschichte, und dafür wäre die Erlaubnis der historischen Fakultät erforderlich, doch man würde sie mir wahrscheinlich nicht erteilen, da ich ja nie Geschichte studiert hätte. Ich hatte schon ein Jahr am Trinity verbracht, und mir blieb nur noch ein weiteres Jahr für die Vollendung meiner Dissertation über die irisch-amerikanischen literarischen Beziehungen. Der Professor meinte, um das zu schaffen, müsse einer schon hart am Wind segeln.
Wie konnte ich meiner Frau in New York gestehen, daß ich ein Jahr mit der Erkundung der Gräben und Eisenbahndämme der irisch-amerikanischen Geschichte vertrödelt hatte, wo ich doch eigentlich meine literarischen Kenntnisse hätte vertiefen müssen?
Ich harrte in Dublin aus und unternahm halbherzige Versuche, so etwas wie eine Dissertation zusammenzubasteln. Wenn
ich zum Mittagessen in ein Pub ging und mir mit einem Bier einen klaren Kopf verschaffte, würden neue Einsichten und Geistesblitze doch bestimmt nicht ausbleiben. Mein Geld wanderte über den Tresen. Das Bier nahm den entgegengesetzten Weg. Sonst tat sich nichts.
Ich setzte mich auf eine Bank in St. Stephen’s Green und begehrte die
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