Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Tag und Nacht und auch im Sommer

Tag und Nacht und auch im Sommer

Titel: Tag und Nacht und auch im Sommer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frank McCourt
Vom Netzwerk:
ins Bad, ins Bett.
    Man versucht, nicht mehr an sie zu denken. Geht weg. Geht
weg. Ich lese ein Buch, die Zeitung, die Schrift an der Wand. Geht weg.
    Ich wollte etwas Wichtiges, Erwachsenes tun, in Besprechungen sitzen, meiner Sekretärin diktieren, mit prominenten Leuten an langen Mahagoni-Konferenztischen sitzen, zu Kongressen fliegen, mich in schicken Bars entspannen, mit hinreißenden Frauen ins Bett gehen, sie davor und danach mit geistreichem Bettgeflüster unterhalten, in New York arbeiten und in Connecticut wohnen.
    Als 1971 meine Tochter zur Welt kam, verblaßten meine Phantasien vor ihrer herzerfrischenden Realität, und ich fing an, mich in der Welt zu Hause zu fühlen. Jeden Morgen gab ich Maggie das Fläschchen, wechselte ihre Windel, tauchte ihren Po in der Spüle in warmes Seifenwasser, verzichtete auf die Zeitungslektüre, weil sie zuviel Zeit beansprucht hätte, fuhr im überfüllten Zug stehend von Brooklyn nach Manhattan, ging die Fifteenth Street entlang zur Stuyvesant, schlängelte mich durch den Pulk der wartenden Schüler zur Eingangstür, stürmte hinein, sagte guten Morgen zum Wachmann, stempelte meine Karte ab, nahm einen Stapel Unterlagen aus meinem Fach, begrüßte nach mir eintreffende Kollegen, öffnete die Tür zu meinem leeren Klassenzimmer, Raum 205, öffnete mit der langen Stange die Fenster, setzte mich hin und schaute über die leeren Bankreihen, sammelte mich ein paar Minuten vor der ersten Stunde, dachte an meine Tochter, wie sie heute früh in der Spüle gebrabbelt hatte, sah zu, wie in dem einfallenden Sonnenstrahl der Staub tanzte, nahm die Anwesenheitsliste aus der Schublade und legte sie aufs Pult, wischte die Tafel ab, auf der noch Anmerkungen aus dem Französischkurs für Erwachsene vom Abend zuvor standen, öffnete die Tür und begrüßte die hereinströmenden Schüler meiner ersten Klasse.
    Roger Goodman sagte, ich müsse unbedingt die Erstellung von Satzdiagrammen unterrichten. Er bewunderte die Klarheit und euklidische Schönheit dieser Methode. Ich sagte ah, denn
ich hatte keine Ahnung von Satzdiagrammen. Solche Dinge verriet er mir beim Mittagessen im Gas House gleich um die Ecke.
    Roger war klein und kahlköpfig, doch die Kahlheit wurde aufgewogen durch buschige schwarzgraue Brauen und einen gestutzten Bart, der ihm etwas augenzwinkernd Koboldhaftes verlieh.
    Er aß mit den Lehrern. Damit war er die große Ausnahme unter den Konrektoren, die mich immer an die Cabots und die Lodges erinnerten, den Inbegriff puritanischer Yankee-Elite.
    In Boston, dem Sitz von Geld und Macht, Wo die Cabots nur mit den Lodges reden Und Gott mit den Lodges lacht.
    Manchmal kam Roger auch nachmittags ins Gas House, um ein Glas mit uns zu trinken. Er war kein bißchen eingebildet, immer gut aufgelegt, immer aufbauend, ein Vorgesetzter, bei dem man sich wohl fühlte. Er hatte keine Allüren, intellektuelle Überheblichkeit war ihm fremd, und er mokierte sich über bürokratisches Kauderwelsch. »Pädagogische Strategieplanung« hätte er vermutlich nicht aussprechen können, ohne dabei in sich hineinzulachen.
    Er vertraute mir. Er war offenbar der Meinung, daß ich auf allen vier Jahrgangsstufen unterrichten könne. Er fragte mich sogar, was ich unterrichten wolle, und ging mit mir in das Magazin, in dem Bücher nach Jahrgangsstufen geordnet waren. Es war ein berauschender Anblick: Bücher über Bücher in Regalen bis an die sieben Meter hohe Decke und auf Wägelchen gestapelt, bereit zum Transport in die Klassenzimmer. Da gab es Anthologien der englischen, der amerikanischen und der Weltliteratur, Stöße von Der scharlachrote Buchstabe , Der Fänger im Roggen , Der bemalte Vogel , Moby Dick, Dr. med. Arrowsmith , Griff in den Staub , Geborgen im Schoße der Nacht,
Introduction to Poetry von X. J. Kennedy . Es gab Wörterbücher, Lyrik-Anthologien, Sammlungen von Kurzgeschichten und Theaterstücken, Lehrbücher über Journalismus und Grammatik.
    Nehmen Sie sich, was Sie wollen, sagte Roger, und wenn Sie noch irgend etwas anderes brauchen, können wir es bestellen. Lassen Sie sich Zeit. Denken Sie heute abend darüber nach. Kommen Sie, gehen wir ins Gas House zum Mittagessen.
    Schule, Bücher, Mittagessen. Für Roger war alles eins. Er setzte nicht jedesmal einen anderen Hut auf. Wenn die Lehrer nach Schulschluß Schlange standen, um sich per Stechkarte abzumelden und nach Hause zu eilen, ließ er seine Augenbrauen spielen und lud einen um die Ecke zu einem Abschiedstrunk ein.

Weitere Kostenlose Bücher