Tag und Nacht und auch im Sommer
betupfte er das Bild, um etwas zu korrigieren oder zu entfernen. Den Kaffee trank er nie aus. In der ganzen Wohnung standen halbvolle Kaffeetassen herum. Wenn der Kaffee kalt wurde, gerann er und bildete in halber Höhe einen Ring.
Es gab eine Szene, die er immer und immer wieder auf verschieden großen Leinwänden malte: Eine Gruppe von Frauen mit pastellfarbenen Kopftüchern und langen, fließenden Seidengewändern stand an einem Strand und schaute aufs Meer hinaus. Ich fragte ihn, ob jemand ertrunken sei oder ob sie auf etwas warteten. Er schüttelte den Kopf. Er wisse es nicht. Wie auch? Er habe die Frauen einfach da hingestellt und denke nicht daran, sich in ihre Angelegenheiten einzumischen. Das sei es ja, was ihm an bestimmten Malern und Schriftstellern so mißfalle.
Sie mischten sich ein und zeigten auf alles mit dem Finger, als könnte man nicht selber sehen oder lesen. Nicht so van Gogh. Schau dir van Gogh an. Da ist eine Brücke, eine Sonnenblume, ein Zimmer, ein Gesicht, ein Paar Schuhe. Die Schlüsse mußt du selber ziehen. Van Gogh erklärt dir nichts.
Er hatte noch zwei andere Themen: Rennpferde und tanzende Chassidim. Die Pferde zeigte er in der Kurve. Dort ist der Pferdekörper am geschmeidigsten, sagte er. Jeder kann ein Pferd am Start oder beim Einlauf malen. Das ist bloß Pferd pur von der Nüster bis zum Schwanz, aber wenn sie um die Kurve kommen, Mann, da legen sie sich rein, brechen aus, passen sich der Kurve an, suchen sich ihre Spur für die Gerade.
Die Chassidim waren wilde Gesellen: sechs Männer in langen schwarzen Mänteln und schwarzen Hüten, mit wehenden Haaren und Bärten. Man hörte förmlich die Klarinette schrillen und die Fiedel zirpen und singen.
Yonk sagte, Religion könne ihm persönlich gestohlen bleiben, die jüdische ebenso wie jede andere, aber wenn jemand seinen Weg zu Gott tanzen könne wie diese Männer, dann sei er dabei.
Auf der Aqueduct-Rennbahn schaute ich ihm beim Schauen zu. Er war anscheinend der einzige auf dem Rennplatz, der sich für die lahmen Kracken interessierte, wie er sie nannte, diej enigen, die am Ende des Feldes durchs Ziel gingen. Siegerpferde, die in den Absattelring geführt wurden, ignorierte er. Siegen war Siegen, aber Verlieren machte einen nachdenklich. Bevor ich Yonk kannte, sah ich nichts als Gruppen von Pferden, die alle in dieselbe Richtung liefen und sich die Lunge aus dem Leib rannten, bis eines von ihnen siegte. Mit seinen Augen sah ich ein ganz anderes Aqueduct. Ich verstand nichts von Kunst oder der Gedankenwelt eines Künstlers, aber ich wußte, daß er Bilder von Roß und Reiter im Kopf hatte, wenn er nach Hause fuhr.
Wenn es Abend wurde, lud er mich auf einen Brandy in sein Eckzimmer ein, und wir schauten die Atlantic Avenue hinunter
zum Wasser. Lastwagen ächzten die Avenue herauf und schalteten an der roten Ampel keuchend und zischend herunter, und die Krankenwagen des Long Island College Hospital heulten Tag und Nacht. Wir sahen die rot blinkende Neonreklame für Montero’s Bar, ein Treffpunkt für die Matrosen von Frachtern und Containerschiffen und die Straßenmädchen, die ihnen die Ankunft in Brooklyn versüßten.
Die Kneipe und das Haus an der Atlantic Avenue gehörten Pilar Montero und ihrem Mann Joe. Pilar hatte eine leerstehende Wohnung über der Bar und erbot sich, sie mir für zweihundertfünfzig Dollar monatlich zu vermieten. Außerdem könne ich ein Bett und ein paar Tische und Stühle von ihr haben, und ich bin sicher, du wirst dich da oben wohl fühlen, Frankie. Sie möge mich, sagte sie, seit ich einmal gesagt hätte, daß ich die spanische Dudelsackmusik der irischen vorzöge, und außerdem sei ich keiner von den Iren, die nichts anderes im Sinn hätten, als sich zu prügeln.
Die Wohnung ging auf die Atlantic Avenue hinaus. Vor meinem Fenster blinkte unentwegt die Neonreklame der Montero Bar, so daß mein vorderes Zimmer abwechselnd grellrot und schwarz war, während unten aus der Jukebox die Village People »YMCA« sangen und stampften.
Meinen Schülern konnte ich natürlich nicht sagen, daß ich über einer der letzten Hafenkneipen von Brooklyn wohnte, daß mich jeden Abend das Gegröle betrunkener Matrosen nervte, daß ich mir Watte in die Ohren stopfte, um das Gekreisch und Gelächter der Frauen nicht hören zu müssen, die ihre Gunst verkauften, und daß mich das Gewummer in der Kneipe unter mir und die Village People mit ihrem »YMCA« allnächtlich in meinem Bett durchrüttelten.
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Z u Beginn
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