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Tag und Nacht und auch im Sommer

Tag und Nacht und auch im Sommer

Titel: Tag und Nacht und auch im Sommer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frank McCourt
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für das Stift zum Guten Hirten, eine Gemeinschaft von Nonnen und weltlichen Frauen, die Spitze herstellten und eine Wäscherei betrieben. In Limerick erzählte man sich, die weltlichen Angestellten in der Wäscherei seien verworfene Weibsbilder, die Männer auf die schiefe Bahn lockten. Telegrammboten durften nicht die Vordertür benutzen, also klopfte ich an einer Seitentür. Das Telegramm, das ich überbrachte, erforderte eine Antwort, und die Nonne, die an die Tür gekommen war, hieß mich hereinkommen und warten, aber nur bis hierher und nicht weiter. Sie legte die Spitze, an der sie arbeitete, auf einen Stuhl, und als sie den Gang entlang verschwand, riskierte ich einen Blick auf das Muster, einen kleinen Spitzen-Putto, der über einem irischen Kleeblatt schwebte. Ich weiß nicht, woher ich den Mut nahm, die Nonne anzusprechen, aber als sie wiederkam, sagte ich, das ist eine sehr schöne Arbeit, Schwester.
    Da hast du recht, Junge, und merk dir eins: Die Hände, die das gemacht haben, haben noch nie das Fleisch eines Mannes berührt.
    Die Nonne starrte mich an, als ob sie mich haßte. Die Priester predigten am Sonntag immer Liebe, aber diese Nonne hatte wahrscheinlich die Predigt versäumt, und ich nahm mir vor, falls ich wieder einmal ein Telegramm für das Stift zustellen müßte, würde ich es unter der Tür durchschieben und mich davonmachen.
    Sylvia sagte, diese Nonne, warum war die so fies? Was hatte die für ein Problem? Was ist so schlimm daran, das Fleisch eines
Mannes zu berühren? Jesus war auch ein Mann. Die ist wie der fiese Priester bei James Joyce, der ständig von der Hölle redet. Glauben Sie den ganzen Quatsch, Mr. McCourt?
    Ich weiß nicht, was ich glaube, außer daß ich nicht auf dieser Welt bin, um Katholik oder Ire oder Vegetarier oder sonstwas zu sein. Das weiß ich bestimmt, Sylvia.
     
    Als ich in meinen Klassen das Porträt des Künstlers als junger Mann durchnahm, stellte sich heraus, daß sie die Sieben Todsünden nicht kannten. Lauter leere Blicke. Ich schrieb an die Tafel: Hochmut, Habsucht, Wollust, Zorn, Völlerei, Neid, Trägheit. Wenn ihr die nicht kennt, wie wollt ihr dann euern Spaß haben?
    Aber, was, bitte schön, hat das mit kreativem Schreiben zu tun, Mr. McCourt?
    Alles. Man muß nicht arm und katholisch und irisch sein, um unglücklich zu sein, aber wenn man es ist, dann hat man etwas, worüber man schreiben kann, und man hat eine Ausrede für seine Trinkerei. Moment. Das nehme ich zurück. Streicht das mit der Trinkerei.
     
    Als meine Ehe zerbrach, war ich neunundvierzig, Maggie acht. Ich war pleite und übernachtete nacheinander bei verschiedenen Freunden in Brooklyn und Manhattan. Die Arbeit an der Schule zwang mich, meine Sorgen zu vergessen. Im Gas House oder in der Lion’s Head Bar konnte ich in mein Bier heulen, aber im Klassenzimmer mußte ich funktionieren.
    Bald wollte ich beim Lehrer-Pensionsfonds ein Darlehen aufnehmen und eine möblierte Wohnung mieten. Bis dahin bot mir Yonk Kling an, bei ihm in seiner Mietwohnung in der Hicks Street nicht weit von der Atlantic Avenue zu wohnen.
    Yonk war Maler und Restaurator und in den Sechzigern. Er kam aus der Bronx, wo sein Vater ein politisch radikaler Arzt war. Jeder Revolutionär oder Anarchist, der in New York durchkam,
konnte damit rechnen, bei Dr. Kling ein Abendessen und ein Bett zu bekommen. Im Zweiten Weltkrieg arbeitete Yonk bei der Kriegsgräberfürsorge. Nach einer Schlacht durchsuchte er das Gelände nach Leichen oder Leichenteilen. Er sagte mir, er habe nie kämpfen wollen, aber das sei noch schlimmer gewesen, und er habe oft überlegt, ob er sich nicht zur Infanterie versetzen lassen sollte, wo man einfach seinen Mann erschoß und weitermachte. Da brauchte man nicht die Erkennungsmarken der Gefallenen in die Hand zu nehmen oder die Bilder von Frau und Kindern in ihren Brieftaschen anzusehen.
    Yonk hatte immer noch Alpträume, und sein bestes Heil-oder Vorbeugemittel war ein ordentlicher Schluck Brandy, den er im Schlafzimmer stets vorrätig hatte. Am Flüssigkeitsspiegel in der Flasche konnte ich die Häufigkeit seiner Alpträume ablesen.
    Er malte in seinem Zimmer. Er ging vom Bett zum Stuhl zur Staffelei, und alles gehörte zusammen. Nach dem Aufwachen blieb er im Bett liegen, rauchte eine Zigarette und studierte die Leinwand, an der er tags zuvor gearbeitet hatte. Er trug seine Kaffeetasse aus der Küche ins Schlafzimmer, setzte sich auf einen Stuhl und schaute weiter die Leinwand an. Ab und zu

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