Tag und Nacht und auch im Sommer
Rauchen, Vertretung abwesender Lehrer, Verhinderung von Drogenhandel, Einschreiten gegen Übergriffe jeder Art, Überwachung der Schülerkantinen, Kontrollen im Eingangsbereich, um sicherzustellen, daß jeder, der kommt oder geht, einen gültigen Paß hat. Wo dreitausend aufgeweckte Teenager unter einem Dach versammelt sind, kann man nicht vorsichtig genug sein. Irgend etwas hecken sie immer aus. Das gehört dazu.
Allgemeines Stöhnen, als ich ankündige, daß wir Eine Geschichte aus zwei Städten lesen werden. Wieso können wir nicht Der Herr der Ringe oder Der Wüstenplanet lesen, überhaupt Science-fiction? Warum nicht?
Genug. Ich ließ eine Tirade los, über die Französische Revolution, die Verzweiflung der von Tyrannei und Armut ausgelaugten Menschen. Ich war eins mit den unterdrückten Franzosen und genoß meine gerechte Empörung in vollen Zügen. Auf die Barrikaden, mes enfants.
Sie hatten den gewissen Blick, der soviel besagt wie, jetzt geht das wieder los. Schon wieder ein Lehrer, der eine Riesenmacke hat.
Aber euch ist das ja egal, höhnte ich. In diesem Moment gibt es Milliarden von Menschen, die nicht jeden Morgen aus ihren warmen weißen Laken kriechen und sich auf warmen weißen
Toiletten erleichtern. Es gibt Milliarden, die kein kaltes und warmes fließendes Wasser kennen, keine parfümierte Seife, so wenig wie Shampoo, Pflegespülung oder luxuriöse Badetücher mit faustdickem Flor.
Ihre Gesichter sagten, ach, laßt ihn doch reden. Man hat keine Chance, wenn Lehrer so drauf sind. Da kann man nichts machen. Widersprich ihm, und er holt den roten Füller raus und macht den kleinen roten Eintrag, der dir deine Note versaut. Dann meckert dein Dad, was ist denn das?, und du mußt ihm erklären, daß der Lehrer eine Macke hat wegen der armen Leute oder so. Dein Dad glaubt dir nicht, und du kriegst hundert Jahre Hausarrest aufgebrummt. Also hältst du am besten die Klappe. Bei Eltern und Lehrern ist Mundhalten immer die beste Politik. Hört ihn euch bloß an.
Nachher geht ihr heim in eure komfortablen Wohnungen und Häuser, geht an den Kühlschrank, macht ihn auf, werft einen Blick rein, findet nichts, was euch behagt, fragt Mom, ob ihr euch eine Pizza bestellen dürft, obwohl es in einer Stunde Abendbrot gibt. Sie sagt, natürlich, Schatz, weil ihr es schwer genug habt, wo ihr doch jeden Tag in die Schule gehen und mit Lehrern klarkommen müßt, die euch Dickens lesen lassen, da habt ihr euch eine kleine Belohnung doch wirklich verdient.
Noch während meiner Suada sah ich, daß ich für sie nichts anderes war als die typische Nervensäge, der man nicht trauen konnte. Merkten sie, daß es mir Spaß machte? Der Lehrer als Demagoge. Sie konnten nichts dafür, daß sie bürgerlich und saturiert waren, und was tat ich anderes, als die alte irische Tradition der Mißgunst hochzuhalten? Also mach mal halblang, Mac.
In der vordersten Reihe, vor meiner Nase, meldet sich Sylvia. Sie ist schwarz, zierlich und durchgestylt.
Mr. McCourt.
Ja.
Mr. McCourt.
Ja, was?
Sie vergaloppieren sich, Mr. McCourt. Kriegen Sie sich wieder ein, entspannen Sie sich. Wo bleibt Ihr gutes altes irisches Lächeln?
Ich wollte ihr über den Mund fahren: Das Leid der armen Menschen in Frankreich, das die Revolution auslöste, sei nichts zum Lächeln, aber allgemeines Gelächter und Applaus für Sylvia brachten mich zum Schweigen.
Ja, Sylvia. Zeig’s ihm, Mädel.
Sie lächelte zu mir auf. Ach, diese großen braunen Augen. Ich kam mir schwach und töricht vor. Ich schlich mich zu meinem Stuhl und ließ sie den Rest der Stunde ihre Witze reißen. Ach, wie sie sich bessern würden. Sie würden sich Charles Dickens’ würdig erweisen. Als erstes würden sie auf die Pizza am Nachmittag verzichten. Das gesparte Geld würden sie den Nachkommen der armen Menschen in der Französischen Revolution spenden. Oder sie würden es den Pennern auf der First Avenue schenken, vor allem dem Mann, der beleidigt war, wenn man ihm weniger als fünf Dollar anbot.
Als die Stunde vorbei war, blieb Ben Chan zurück. Mr. McCourt, darf ich mit Ihnen reden?
Er kenne aus eigener Erfahrung, was ich über Armut gesagt hätte. Die anderen hätten keine Ahnung. Aber das sei nicht ihre Schuld, und ich sollte nicht wütend werden. Er sei zwölf gewesen, als er vor vier Jahren nach Amerika kam. Er habe kein Wort Englisch gekonnt, aber er habe gebüffelt und sei in Englisch und Mathematik so gut geworden, daß er die Aufnahmeprüfung an der Stuyvesant
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