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Tag vor einem Jahr

Titel: Tag vor einem Jahr Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C Geraghty
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grelle Helligkeit nahm ab, und voller Angst verschloss ich die Augen davor.
     
    Als Nächstes erinnere ich mich daran, dass ich auf dem Boden der Kabine saß, Mam neben mir kniete und mir einen Inhalator an den Mund hielt.

    »Atme, Gracie, atme.« Ihre Stimme hallte in meinen Ohren, und am Rande meines Blickfelds tanzten weiße Flecken. Ich atmete stoßweise und schloss erneut die Augen.
    Sie strich mir feuchte Haarsträhnen aus der Stirn und nannte mich wieder »Gracie«. Ich konnte ihre besorgten Hände auf mir spüren. Mir wurde ganz warm. Ich liebte es, wenn sie mich »Gracie« nannte, was sie normalerweise nie mehr tat. Sie drückte den Ventilzylinder runter, der oben aus dem Inhalator ragte, und entließ Wolken wohltätiger Dämpfe in meinen Mund. Ich war immer noch außer Atem, aber ich spürte, wie sich die Panik allmählich verzog. Ich stellte mir vor, wie das Ventolin meine Trachea (was nebenbei bemerkt ein hochgestochenes Wort für Luftröhre ist) bis zur Einmündung in meine Lungen hinunterreiste – genau so, wie Dr. Evans es mir gesagt hatte. Als ich zehn Jahre alt war, versicherte er meiner Mutter, dass ich in meinen Jugendjahren aus dem Asthma herauswachsen würde. Doch es war nicht so gekommen, genau wie in Sachen Kichern, Alkoholexzesse und Stolpern über die geringste Herausforderung.
    Vor meinem Publikum in Verlegenheit gebracht, hielt ich meinen Kopf gesenkt, bis das Keuchen in schwere Atemzüge übergegangen war. Ich hörte mich an wie ein Betrunkener mittleren Alters auf einer Poolparty für Einundzwanzigjährige. Schließlich wagte ich einen Blick nach oben.
    »Danke, Mam.«
    »Sprich nicht, Grace. Komm erst wieder zu Atem.« Ihre Stimme klang jetzt wieder forsch und resolut.
    »Woher hast du das Asthmaspray?«, fragte ich, als die Welt um mich herum aufgehört hatte, sich zu drehen.
    »Ich … ich habe es von Patrick. Es ist noch von ihm.«
    Stille folgte. Keiner wusste so recht, was er sagen sollte.
    »Wie auch immer, ein Glück, dass ich es dabeihatte.«

    Ich nickte und sah sie an, aber sie war bereits am Aufstehen.
    »Es tut mir leid«, krächzte ich an Clare gewandt, die sich in meiner Nähe herumdrückte. Die Farben um mich herum gewannen an Schärfe, das Blassrosa der Schaufensterpuppen, das Hellblau des überraschend klaren Märzhimmels, das feurige Rot der Adern, die an dem weißen Hals meiner Mutter pochten. Oh Scheiße! Sie war zurück und offensichtlich zu dem Schluss gekommen, dass ich nicht länger in Lebensgefahr schwebte.
    »Grace, aus deiner Tasche sind Kondome herausgefallen!«, zischte sie mich an, sorgfältig darauf bedacht, dass die Brautberaterinnen sie nicht hörten. Ihre Nasenlöcher weiteten sich, und von ihrem Hals ausgehend breitete sich die Röte bis zu ihren Wangen aus.
    Das einzig Angenehme an einem Asthmaanfall ist, dass die Nachwirkungen etwas Post-koitales haben. Langsam kommst du wieder zu Atem, dein Schweiß verdunstet über dir. Dir ist warm, jede Zelle deines Körpers pulsiert.
    a. Natürlich befanden sich in meiner Tasche Kondome. Schließlich war ich eine neunundzwanzig Jahre alte, verantwortungsbewusste Frau in einer Welt, in der Bernard O’Malleys lauerten. Abgesehen davon stammten sie noch aus der Zeit, bevor Shane wegging, und das Verfallsdatum war höchstwahrscheinlich abgelaufen.
    b. Woher wusste sie, dass sich in meiner Tasche Kondome befanden? Andererseits wusste sie so viel, und dabei erzählte ich ihr so wenig …
    »Es tut mir leid«, sagte ich einmal mehr, zu allen und doch zu niemandem im Besonderen. »Soll ich jetzt das Kleid anprobieren?«

    Die BBs (Brautberaterinnen) waren erleichtert, dass scheinbar wieder Normalität eingekehrt war, und nahmen ihre gewohnten Tätigkeiten wieder auf. Sie zeigten mit ausgestreckten Fingern, die in langen, knallroten Tentakeln endeten, auf, na ja, auf Sachen im Laden eben. Und lächelten. Jede Menge Lächeln. Unglaublich strahlendes Lächeln, das sich über perfekte Pfirsichhaut erstreckte. Wäre da nicht ihr breiter Dublin-Akzent gewesen, hätte ich gedacht, ich träume das nur.
    Nach dem ganzen Drama erschien mir das Maßnehmen wie ein Kinderspiel. Meterweise Band wurde um meine Taille geschlungen (einatmen) und um meine Brüste (Schultern zurück) und um meine Hüften (gerade stehen) und um meine Oberschenkel (tja, da ist leider nichts zu machen).
    Man fertigte ein Modell des Kleides in Größe 40. Es glitt ohne unzumutbare Kraftanstrengung über meine Hüften und Oberschenkel, und ich war wirklich

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