Tag vor einem Jahr
Aufgabe zu bewältigen, nicht überzeugt.
»Ja, ja, kein Problem. Sie können mich anrufen, um einen Termin zu vereinbaren«, mischte Clare sich ein.
Sie nahm die BB am Ellbogen und schob sie sanft aus der Kabine. Ich blieb mit meinen Gedanken alleine zurück. Sie senkten sich auf mich wie Nebelschwaden. Ich presste die Hände auf meine Ohren, doch die Gedanken ließen sich nicht vertreiben. Hier eine Geschmacksprobe von einigen Dingen, über die ich eigentlich nicht nachdenken wollte.
Shane O’Brien. Wie man sieht, müsste ich nicht einmal meinen Namen ändern, wenn, falls, wir heirateten. Das war doch ein Zeichen, oder? Seine anfängliche Flut von E-Mails, Anrufen und SMS hatte sich in den vergangenen Wochen zu einem Tröpfeln reduziert. Aus offensichtlichen Gründen konnte es ein Mädchen in den Wahnsinn treiben, über das Warum hinter dieser stetigen Abnahme an Kommunikation nachzugrübeln, deshalb begeben wir uns schnell weiter zu …
Bernard O’Malley, einem Kollegen, mit dem ich seit seinem Eintritt in die Firma vor ein paar Wochen kaum mehr als zehn Sätze gewechselt hatte. Nun hatte er mich in wenig schmeichelhaftem Licht nackt gesehen (AHHHHHHH!), ich würde ihm am Montag wieder in der Arbeit begegnen und musste der Tatsache ins Auge blicken, dass ich Shane untreu gewesen war.
Patrick. Ich wünschte mir einfach nur, er wäre da.
Meine Mutter. Hier die Fortsetzung.
Der Vorhang, der mich vom Rest der Welt trennte, wurde plötzlich zurückgerissen, und meine Mutter ragte unter
dem Architrav auf. Wenn sie wirklich verärgert ist, spricht sie mit langsamer, kontrollierter Stimme, so wie jetzt.
»Grace«, sagte sie mit einem Flüstern, das fast einem Schrei gleichkam. »Clare steht da draußen und zahlt eine unglaubliche Summe Geld für dein Kleid. Du kommst zu spät, bist verkatert, dir fehlt ein Strumpf. Du hast Kondome in deiner Tasche, bist in einem Zustand, dass du fast einen Asthmaanfall bekommst, und jetzt benimmst du dich auch noch hier drinnen, als wärst du geistig minderbemittelt.« Anscheinend hatte ich in dem Versuch, meine Gedanken zu verscheuchen, nicht nur meine Hände an die Ohren gepresst, sondern dazu auch »Nutbush City Limits« gesungen, begleitet von einem Fußstampfen Marke Tina Turner.
Meine Mutter zählte diese Sünden an ihren Fingern auf, wobei sie jeden auf eine Art nach hinten riss, dass es einem schon beim Zuschauen Schmerzen bereitete.
»Das ist Clares Tag«, fuhr sie mit Nachdruck fort. »Reiß dich um Gottes willen zusammen und lass uns jetzt endlich gehen.« Sie verschwand so unvermittelt, wie sie gekommen war. Meine Hände zitterten, als ich den Bauch einzog und den Reißverschluss meines Rockes hochzerrte. Ich hasste Auseinandersetzungen, insbesondere die mit meiner Mutter. Der Kloß in meinem Hals wurde größer, während ich gegen die Tränen ankämpfte. Meine Mutter hasste Leute, die in der Öffentlichkeit weinten. Ich dachte an meine Wohnung, daran, dass ich dort geborgen sein würde. Ich könnte darin den ganzen Tag weinen, wenn mir danach war. Und wenn ich wollte, auch noch den morgigen Tag. Daraufhin fühlte ich mich ein bisschen besser und wagte mich wieder hinaus in die Brautboutique. Ein vibrierender Piepston drang aus meiner inzwischen fast leeren Tasche (die Kondome waren weg), und mit aufkeimender Hoffnung wühlte ich nach dem Handy.
1 neue Nachricht.
Ich drückte mir selbst die Daumen und die Zehen und flehte den heiligen Antonius, den heiligen Judas Thaddäus, den heiligen Thomas, Maria und Joseph, den Palmesel, BONO – egal wen – um Hilfe an. »Bitte lasst sie von Shane sein«, betete ich. Ich hieb auf die Tasten des Telefons ein und bekam einen Schreck. Die Nachricht stammte von niemandem aus meinem Adressbuch. Die Nachricht stammte von einer Nummer, die mir nicht bekannt war.
5
An einem Freitagabend Sex mit einem beinahe Fremden zu haben, ist eine Sache. Aber diesem Typen die eigene Handynummer zu geben? Hatte ich denn nichts dazugelernt? Wann war das geschehen? Wie?
Du hast deine Jacke in meiner Wohnung vergessen. Bringe sie am Montag mit zur Arbeit. Hoffe, dir geht’s gut. Bernard
»Von wem war die E-Mail?«, wollte meine Mutter wissen und streckte den Kopf über meine Schulter.
»Es ist eine SMS, Mam, keine E-Mail.« Ich war in Phase zwei meines Katers angekommen: Widerspruchsgeist. Meine Mutter versuchte ständig, die Technik in den Griff zu bekommen, und hatte erst kürzlich ihr uraltes Radio gegen eine Stereoanlage mit
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