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Tag vor einem Jahr

Titel: Tag vor einem Jahr Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C Geraghty
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Patrick bei uns.

43
    Die Türglocke ging, und im Lärm in der überhitzten Küche ging ihr lautes Geläute fast unter. Ich sah mich am Tisch um, aber niemand sonst schien es bemerkt zu haben. Mam und Jack standen an der Spüle, die eine wusch ab, der andere trocknete ab, ihre Hüften schwangen im Rhythmus einer alten Melodie, die leise im Radio gespielt wurde. Paul, der »Onkel aus Amerika«, erzählte, wie es einem echten Amerikaner anstand, lautstark eine Gesichte. Wir nannten ihn immer den »Onkel aus Amerika«, um ihn von dem anderen Onkel Paul zu unterscheiden, der überhaupt nicht unser Onkel war, sondern ein Friseur und enger Freund von Dad. Alle anderen lauschten seiner Geschichte, selbst die Kinder, die sich vor Langeweile und Unruhe qualvoll wanden. Ich trat durch die Küchentür und eilte die Diele entlang. Wer immer es war, er warf hinter dem marmorierten Glas der Eingangstür einen langen Schatten. Auf dem Rücken der Person zeichnete sich eine Tasche – oder ein Buckel – ab. Der Schatten einer Hand strich Haare glatt, die der Wind in alle Richtungen wehte. Ich beugte mich hinunter und zog am Türgriff. Er stand da wie ein streunender Hund, nass und sich schüttelnd. Es war Shane.
    »Wo warst du?« Er mühte sich in den Windfang und zog sich seinen durchnässten Mantel aus.
    »Wie meinst du das?« Ich nahm den Mantel, den er mir hinhielt. »Was machst du denn hier?«

    Shane sah mich an, Wasser tropfte wie Tränen von seinem Gesicht.
    »Herrgott, Grace, ich habe dir heute Morgen eine Mail geschickt. Mit meinen Flugdaten. Ich habe dir eine SMS geschickt, als ich in London an Bord ging. Und als ich verdammt nochmal landete. Ich hätte gedacht, du würdest mich wenigstens vom Flughafen abholen.«
    Inzwischen hatte er seine Schuhe und sein Anzugjackett ausgezogen und warf alles in meine ausgestreckten Arme.
    »Ich war heute nicht im Büro, ich hab meine Mails nicht angeschaut. Mein Handy musste ich im Kosmetiksalon abschalten, und ich habe es seitdem nicht mehr eingeschaltet. Ich habe nicht mitbekommen, dass du heute Abend fliegst.«
    Shane legte auf das größer werdende Bündel in meinen Armen noch die Socken obendrauf. Selbst die waren nass.
    »Bist du vom Flughafen aus zu Fuß gegangen?«, fragte ich ihn in einem Anflug von Belustigung. Shane fand es nicht witzig.
    »Der Taxifahrer hat mich zum falschen Haus gefahren. Im Dunkeln sehen sie alle verflucht gleich aus. Ich bin die letzten zehn Minuten im Regen herumgelaufen.« Etwas in mir kam in Bewegung, und plötzlich war ich verärgert.
    »Ich habe dir gesagt, dass ich heute nicht im Büro sein würde. Du wusstest, dass ich heute mit Clare beschäftigt bin.«
    Shane blickte auf, als hätte er eine Ohrfeige bekommen. Er sah mir direkt in die Augen, und ich hatte eine äußerst seltsame Empfindung. Als wären wir Fremde.
    Er kam auf mich zu und umarmte mich unbeholfen über die nassen Kleider und Schuhe auf meinen Armen hinweg.
    »Es tut mir leid, Grace, ich hatte vergessen, dass du heute nicht arbeitest. Ich hab mich erst heute Morgen entschlossen,
schon heute Abend herzukommen. Ich dachte, du würdest dich freuen.« Er trat einen Schritt zurück und warf an mir vorbei einen Blick über meine Schulter.
    »Woher wusstest du, dass ich hier bin?« Ich war verwirrt. Und ich fror mit den nassen Kleidern auf den Armen.
    »Als ich dich nicht erreichen konnte, rief ich Caroline an. Sie hat es mir erzählt.« Er sah sich noch immer in der Diele um, und mir wurde bewusst, dass er seit sehr langer Zeit nicht mehr in diesem Haus gewesen ist. Vielleicht nicht mehr seit der Beerdigung.
    »Geh durch«, sagte ich. »Ich lege deine Sachen in die Heißmangel.«
    »Ich warte auf dich.« Er klang nervös, und mir wurde klar, dass er meiner Mutter nicht ohne mich begegnen wollte. Die Tür zur Küche ging auf, und die Diele wurde von Licht, Hitze und Lärm durchflutet.
    »Wer hat an der Tür geklingelt, Grace?« Es war meine Mutter, ihr Gesicht war von zwei Gläsern Wein und der Hitze in der Küche gerötet.
    »Mrs O’Brien, es ist schön, sie wiederzusehen. Sie sehen gut aus.« Shane ging auf sie zu.
    Meine Mutter streckte ihm die Hand entgegen, Shane änderte seine Körperhaltung – er hatte eine Umarmung erwartet – und schüttelte stattdessen ihre Hand. Nun fiel mir wieder ein, dass sie sich seit der Gedenkmesse, die einen Monat nach der Beerdigung stattgefunden hatte, nicht mehr gesehen hatten, das war jetzt fast elf Monate her. Es hatte immer eine Entschuldigung

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