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Tag vor einem Jahr

Titel: Tag vor einem Jahr Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C Geraghty
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auf die Küchenuhr. Hätte ich sie angesehen, hätte ich es nicht geschafft. Ich taumelte hoch in Mams Schlafzimmer, wo Clare gerade in ihr Kleid stieg.
    »Du hättest uns dazu eigentlich rufen sollen«, sagte ich.
    »Kannst du bitte den Reißverschluss hochziehen?« Sie
stand vor dem großen Spiegel, der bis zum Boden reichte. Von der Tür aus sah ich ihr Spiegelbild.
    »Du bist wunderschön.« Und das war sie auch. Trotz ihrer acht Zentimeter hohen Absätze sah sie winzig aus, wie eine Puppe. Man hätte sie auf die oberste Etage der Hochzeitstorte stellen können.
    »Werde nicht sentimental. Was hat Mam unten gerufen?« Falls sie gehört hatte, wie sein Name die Treppe heraufschallte, erwähnte sie es nicht.
    »Nichts. Sie hat nur ihren Schmuck in Ordnung gebracht.« Langsam betrat ich das Zimmer.
    »Kannst du meinen Schleier feststecken?« Erst als ich meine Hände zu ihrem Kopf führte, bemerkte ich, dass sie zitterten.
    »Frierst du, Grace?« Clare klang besorgt.
    »Nein, ich bin nur aufgeregt«, log ich. »Ich war noch nie Brautjungfer, erinnerst du dich?« Irgendwie schaffte ich es, den Kamm des Schleiers in die Haare zu stecken. »Richie Rich ist ein glücklicher Mann.«
    »Ich wünschte, du würdest ihn nicht so nennen.«
    »Warum?« Ich war neugierig. Bisher hatte sich Clare nie an daran gestört.
    »Weil ich ihn liebe.«
    »Das weiß ich, aber was hat das damit zu tun? Er ist stinkreich, warum also nicht?«
    »Weil ich ihn einfach liebe. Mich interessiert es nicht, dass er reich ist.«
    »Schon, aber es ist doch nett, dass er es ist. Du liebst ihn in eurem Zuhause in Rathgar und nicht in einer Hütte an einem Ort, von dem Immobilienmakler sagen: ›gleich bei der M50‹, und dann ist es in Wirklichkeit ewig davon entfernt in Leitrim.«
    »Ja, aber ich würde ihn auch in einer Hütte in Leitrim
lieben. Das will ich damit sagen.« Clares Stimme klang schrill.
    »Ist gut, Clare, das weiß ich doch.« Ich klopfte ihr auf die Schulter, und sie umarmte mich. Ihre Wärme beruhigte mich. Dann straffte sie sich und sah wieder besorgt aus.
    »Meinst du, dass es Mam heute gutgehen wird? Du weißt schon, wenn sie mich weggibt, und so?« Sie starrte auf ihr Spiegelbild, schien aber in Gedanken weit fort zu sein. Ich wusste, wo sie war. In Patricks Lieblingsrestaurant. Dem Milestone, in unmittelbarer Nähe zur Camden Street. Es war Patricks Geburtstag, sein letzter. Er wurde einundreißig Jahre alt. Wir waren alle anwesend, Shane und ich, Jane und James, Clare und Richard. Und an der Stirnseite des Tisches natürlich Mam. Clare und Richard flüsterten laut miteinander, vielleicht dachten sie, dass niemand sie hören könne. Es klang nach einer Diskussion.
    »Ich will es ihnen sagen, ich kann nicht mehr warten.« Das kam von Clare.
    »Aber es ist Patricks Abend. Wir sollten warten.« Das kam von Richard.
    »Patrick ist ein Mann. Den interessiert solches Zeug nicht.«
    »Welches Zeug?«, schaltete sich Patrick ein. »Was flüstert ihr beide da?«
    Clare sah Richard an, und dieser nickte.
    »Wir haben etwas bekanntzugeben«, sagte sie, wobei sie uns alle reihum ins Visier nahm. Natürlich wussten wir sofort, was Sache war.
    »Was?« Patrick beugte sich über den Tisch, seine buschigen Augenbrauen hochgezogen, sein Gesicht voller Neugierde.
    Clare hielt einen Augenblick inne, um sicherzustellen, dass sie unsere ganze Aufmerksamkeit besaß. Sie besaß sie.
    »Ich heirate.«
    »Wen?«, fragte Patrick mit einem Augenzwinkern zu Richard.
    »Also wirklich, Patrick.« Das war Mams Beitrag, aber ihr Lächeln zog sich über ihr ganzes Gesicht.
    Von unserer Seite gab es eine Menge Gekreische und Gejohle für Clare. Dann stellten wir uns feierlich an, um nacheinander Richard – wenn er zugegen war, nannten wir ihn Richard – zu gratulieren. Er war nicht von der Sorte Mann, die man umarmte und küsste. Nicht, dass er nicht sehr nett oder so gewesen wäre, das war er durchaus, aber auf eine stille Art. Nun ja, auf alle Fälle stiller als wir, will ich damit sagen.
    Und dann geschah es. Das Gespräch. Das Gespräch, an das wir uns alle erinnerten, insbesondere heute.
    »Clare, ich werde dich weggeben, am Altar meine ich«, sagte Patrick. »Wenn du willst, dass ich das mache.« Er grinste, doch sein Tonfall war ernst.
    »Oh.« Clare war verblüfft. »Daran habe ich noch gar nicht gedacht.«
    »Lass dir Zeit damit, denk darüber nach, es besteht keine Eile«, beharrte Patrick.
    »Nein, dazu brauche ich keine Zeit. Ich würde mich

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