Tag vor einem Jahr
aufmerksam gemacht, dass du einen oder mehrere Posten Kleidung bei einem Herrenausstatter, nachfolgend ›Boyers‹ genannt, ohne bzw. ohne hinreichende Beaufsichtigung erworben hast.« Sie hielt inne, um an ihrer Tasse zu nippen. »Bekennst du dich dessen für schuldig oder nicht schuldig?«
»Na ja, die Sache ist die …«, begann Ethan tapfer. Auf seinem Gesicht war sogar der Anflug eines Lächelns zu sehen.
»Schuldig oder nicht schuldig«, insistierte Laura. Sie schaute sich sehr oft Gerichtssendungen wie Judge Judy und People’s Court an und rief selbst dann, wenn es überhaupt keinen Sinn ergab, liebend gern »abgelehnt« und »stattgegeben«.
»Nicht schuldig.« Ethans Stimme war deutlich zu vernehmen, klar und rein und voller Überzeugung. Kollektives Luftholen. War Ethan mit seiner Mutter einkaufen gegangen?
»Du wurdest also beaufsichtigt?«, fragte Laura.
»Ich bin zusammen mit jemandem hingegangen«, korrigierte Ethan sie.
»Stimmt das mit Boyers?«, fragte ich. In der folgenden Pause bissen wir uns auf die Lippen und hielten den Atem an.
»Ja.« Weiteres kollektives Schnappen nach Luft. »Aber ich habe ein paar tolle Klamotten gefunden.« Er beharrte darauf: »Ihr werdet schon sehen.«
»O mein Gott, er sagt jetzt Klamotten«, bemerkte Laura, die ihre Hand in gespielter Abscheu über den Mund legte. »Als Nächstes werden wir sehen, dass er seine Hosen plättet und seine Socken stopft und die gestopften Socken mit Ledersandalen trägt …«
»Okay, Laura, jetzt bist du dran«, unterbrach ich sie und brachte unser Meeting unter meine Kontrolle. Auf meinem Schreibtisch lag noch immer einiges, was zu erledigen war, und ich musste dorthin zurückkehren.
»Aber wir wissen noch immer nicht, wer Ethans Einkäufe beaufsichtigt hat«, beharrte Laura.
»Schau«, sagte ich, »der Mann ist einkaufen gegangen. Ungeachtet der, äh, Klamotten, die er gekauft hat, ist das an sich schon mal lobenswert.« Laura öffnete den Mund, um zu widersprechen, aber ich war schneller: »Sind alle einverstanden?«
»Na gut.« Laura fand einen Stuhl und setzte sich. »Aber gebt nicht mir die Schuld, wenn er zu der Party in einem Tanktop und Dreiviertelhose erscheint.«
»Ich würde niemals Dreiviertellängen tragen«, empörte sich Ethan. In Bezug auf Tanktops konnte er das nicht behaupten, also erwähnte er sie klugerweise nicht.
»Nun, Laura«, ich wandte mich mit einem leicht spöttischen Lächeln an sie, »natürlich kann Peter zur Hochzeit kommen. Ich habe Clare eine SMS geschrieben, und sie ist einverstanden.«
Lauras Mund öffnete und schloss sich, als wäre sie ein Fisch.
»Ich habe nie etwas wegen Peter gesagt«, beharrte sie und schaute errötend in Bernards Richtung.
»Nein, das hast du nicht«, stimmte ich ihr zu, worauf ich zum nächsten Tagesordnungspunkt kam.
»Norman, du bist dran.« Ich wandte mich ihm zu, und er begann defensiv den Kopf zu schütteln.
»Okay, ich gebe es zu, die Hose hat 400 Euro gekostet, aber sie war von 550 Euro heruntergesetzt, also habe ich mit dem Kauf eigentlich Geld gespart.«
»Wirst du diesen Monat in der Lage sein, dir Lebensmittel zu kaufen?«, forschte ich nach.
»Na ja, es wird nicht gerade Gänseleberpastete und Belugakaviar geben, aber ich werde nicht verhungern.« Norman schlug seine Beine übereinander und löste sie wieder. In seinen engen braunen Kordhosen und dem Gürtel mit großer schmucker Gürtelschnalle um seine schmalen Hüften sah er absolut klasse aus.
»Was ist mit dir, Bernard?« Norman wandte sich ihm mit einem süffisanten Lächeln zu.
»Was mit mir ist?« Bernard trug es mit Fassung und ging auf unser Spiel ein.
»Was trägst du zur Hochzeit? Erzähl schon.« Norman sagte es in einem Tonfall, den er sich bei Hugh Grant in Notting Hill abgeschaut hatte (von den Filmen mit Hugh Grant bislang sein Lieblingsfilm).
»Um ehrlich zu sein, habe ich darüber noch nicht weiter nachgedacht«, sagte er. Er lächelte uns der Reihe nach an und rieb sich den Kopf, wodurch sich seine Haare aufstellten.
»Was ist mit dem Anzug, den du am Dienstag anhattest?«, meldete sich Jennifer zu Wort.
»Ooh, ja«, sagte Laura. »Darin hast du großartig ausgesehen.«
Erneut Jennifer: »Das Jackett passt zu deinen Augen.«
Laura: »Und die Hose betont deine langen Beine.«
Am liebsten hätte ich mich schützend vor Bernard gestellt. Sie benahmen sich wie rollige Katzen. Stattdessen versuchte ich die beiden abzulenken.
»Wunderbarer Kaffee, Laura.« Doch sie
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