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Tag vor einem Jahr

Titel: Tag vor einem Jahr Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C Geraghty
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Gesichter ihrer Brüder waren ganz ernst, aber vor dem Hintergrund einer Böschung voll blutroter Rosen sah es perfekt aus.
    »Clare, darf ich dein Hochzeitskleid anziehen, wenn ich einmal heirate?«, wollte Ella wissen. Ich betete ihre unschuldige Überzeugung an: erwachsen werden, eine Superheldin werden, einen attraktiven Prinz kennenlernen, voraussetzen,
dass man in ein Hochzeitskleid Größe 34 passt, mit Anmut im Vorstand eines multinationalen Konzerns sitzen und natürlich glücklich bis ans Ende der Tage in einem rosafarbenen Schloss am Rande eines Sees leben. Ich nahm sie hoch und wirbelte sie herum, bis die Bäume nur noch unscharf zu erkennen waren.
    »Grace, lass sie runter. Ihr wird schlecht werden«, sagte Mam. Sie sah müde aus.
    »Wann wird mein Foto gemacht?« Mary war eben erst angekommen, und ich konnte es ihrem Gesicht ansehen, dass sie nach einem doppelten Brandy lechzte. Ihre Füße mussten sie umbringen, sie steckten in Cowboystiefeln mit hohen Absätzen, die sie übrigens ihre Stiefel für besondere Gelegenheiten nannte. Heute hatte sie ihren Stock dabei, und als sie mit lauter Stimme ihre Frage stellte, schwenkte sie ihn über dem Kopf – ein sicheres Anzeichen dafür, dass sie im Begriff war, die Geduld zu verlieren. Conran erkannte glücklicherweise, dass er diese Matriarchin beschwichtigen musste, und machte fast so viele Aufnahmen von ihr wie von Clare. Mary seufzte wie eine Diva, aber man merkte, dass sie es genoss.
    »Sie können jetzt gehen«, sagte Conran barsch zu ihr. »Isch meine, wenn Sie wollen«, fügte er hinzu, als sie ihn mit einem abschätzigen Blick bedachte.
    »Jetzt möchte ich eins mit allen meinen Mädchen.« Mary fixierte Conran mit einem scharfen Blick. Gehorsam scharten Jane, Clare, Mam und ich uns um die alte Lady. Mam, Mary und ich ragten in der hinteren Reihe auf, Jane und Clare – die Zwerge – standen in der vorderen. So war es schon immer gewesen. Mary lehnte sich an mich und legte ihre Hand auf Mams Schulter. Sie roch nach Lavendel und Mottenkugeln.
    Anschließend brach sie auf, wies alle Angebote, sie im
Auto mitzunehmen, zurück und bestand darauf, den Bus zum Hotel zu nehmen. Jack bot ihr ohne großen Nachdruck an, sie zu begleiten, doch sie schnaubte und entgegnete, dass sie ihn schon lange, bevor man sie einliefern würde, im Pflegeheim besuchen würde. Jeder nahm ihr das ab. Ich empfand so viel Zuneigung für sie, der Ältesten unter uns, der Ältesten in dieser Familie von Frauen.
    Jack legte meiner Mutter den Arm um die Schultern, sie lehnte sich kurz an ihn und schloss für einen Moment die Augen. In diesem Moment sah sie so verletzlich aus, und zwar auf eine Art, die schwer mitanzusehen war. Mir wurde bewusst, dass sie Schritt für Schritt ihren Weg durch diesen Tag nahm, sich dabei jedoch wünschte, er möge vorbei sein und sie möge ihren Jungen wieder zurückhaben.
    Conran versuchte inzwischen Clare zu überreden, auf einen Baum zu klettern. Richard war bereits auf dem Baum und klammerte sich an einen der tieferen Äste. Seine Cousins hatten eine Räuberleiter für ihn gebildet und wischten sich nun die Hände im Gras ab.
    »Richard, komm unverzüglich vom Baum herunter.« Angesichts der Tatsache, dass ihr erwachsener Sohn an seinem Hochzeitstag auf Bäume kletterte, war Mrs Ryan aufgewacht. »Was ist mit deinem Heuschnupfen? Und deiner Höhenangst? Und du machst dir den Anzug ganz schmutzig.« Die Gründe dafür, warum Richard nicht auf einem Baum sitzen sollte, schienen kein Ende zu nehmen, zumindest hörten sie nicht damit auf, dass er ein sechsunddreißigjähriger Mann war mit einem vernünftigen Beruf und einer frisch angetrauten Braut.
    Richard erstarrte, und es war klar, dass er Hilfe benötigen würde. Seine Cousins seufzten und liefen zum Baum zurück.
    Im Hotel sehnte ich mich danach, mich aus dem Kleid
schälen zu können, das von Minute zu Minute enger wurde, und aus den Schuhen, die meine Füße einzwängten.
    »Grace, geh und unterhalte dich mit Onkel Malachy und Tante Joan«, befahl meine Mutter, die von zu viel Sonne und zu viel Conran ein gerötetes Gesicht hatte. »Geh schon, das ist das Mindeste, was du tun kannst.« Sie lenkte mich Richtung Garten, wo wir Joan dabei beobachten konnten, wie sie Stecklinge von einem Rosenbusch abschnitt. Ihr Kopf fuhr nach links und nach rechts, um sich zu vergewissern, dass sie von keinem dabei gesehen wurde.
    »Warum ist das das Mindeste, was ich tun kann? Warum ist es nicht das Mindeste,

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