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Tag vor einem Jahr

Titel: Tag vor einem Jahr Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C Geraghty
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– besaß einen französischen Akzent. Ursprünglich stammte er aus Donnycarney, wie uns Richard später erzählte. Er hatte sich sogar einen von diesen dünnen aufgezwirbelten Oberlippenbärtchen wachsen lassen und trug eine schwarze Baskenmütze, die verwegen schief auf seinem Kopf saß. Er gehörte zu jenen Fotografen, die sich als Künstler empfinden (muss »Künst-lär« ausgesprochen werden) und machte Hochzeiten nur dann, wenn die hungernde Künstlerszene ein bisschen schwächelte.
    Er lispelte, konnte aber immerhin seine Rs aussprechen, die er im hinteren Teil seiner Kehle rollte. Es klang, als würde er gleich zu gurgeln anfangen.
    Er kannte keinen einzigen unserer Namen.
    »Isch will Sie, Sie, Sie und Sie hier untär diesem Baum«, sagte er und zeigte der Reihe nach auf mich, Jane, Clare und Mam. Nur weil er auf Mrs Ryans Empfehlung kam (»Ich habe gehört, er sei ein unglaublicher kleiner Mann!«), hatte meine Mutter ihn überhaupt in Betracht gezogen.
    Nicht zufrieden damit, dass er uns da hatte, wo er uns haben wollte, begann er dann auch noch, uns seine Gründe zu erklären.
    »Diesär Baum repräsentiert Stabilität und Fruchtbarkeit. Schauen Sie sisch die Dicke des Stamms an. Schauen Sie sisch die majestätischen Wipfäl an.« Während er sprach, umfassten seine Arme den Baumstamm, die Hände strichen auf und ab, als würde er es einem Elefanten besorgen.

    »Ich brate ihn mit dem Stamm gleich eins über, wenn er nicht den Mund hält und das verdammte Bild macht.« Meine Mutter ertrug Dummköpfe nicht sonderlich gut. Ich, Jane und Clare mussten uns gegenseitig stützen, so sehr mussten wir lachen. Es stellte sich heraus, dass es das beste Foto im Album sein sollte. Drei Frauen, aufgedreht und vor lauter Lachen leicht schwankend. Eine ältere Frau, die mit strengem Blick am Rande des Bildes steht, auf deren Gesicht aber die Spur eines Lächelns liegt. Conran nannte es sein Meisterstück, aber er hat nie erfahren, wie nah er daran war, sich ein gutes Versteck suchen zu müssen.
    Die Sonne brannte herunter. Keiner hatte daran gedacht, einen Sonnenschutz oder Wasser mitzubringen. Wir welkten dahin, doch Conran war nicht bereit, uns zu entlassen.
    »Ok, ich brauche Mutt-är und Vat-är der Braut.« Er klatschte die Hände zusammen wie ein Seehund.
    Meine Mutter kam nach vorn und stellte sich neben den Fotografen. Jetzt waren wir am Ententeich (repräsentiert den Urschprung däs Läbens).
    »Wo ist Ihr Ehemann?«, fragte Conran fordernd.
    »Tot.« Meine Mutter war mit ihrer Geduld schon seit einer Weile am Ende.
    »Oh«, erwiderte er und schnalzte angesichts dieser Unannehmlichkeit mit der Zunge.
    »Sie.« Er zeigte auf mich und knallte die Absätze seiner Schuhe zusammen.
    »Ich?« Ich deutete mit meinem Finger auf meine Brust. Die Hitze hatte mein Gehirn träge gemacht.
    »Ja, ja«, antwortete Conran ungeduldig. »Sie sind die Tochtär diesär Frau, oder nicht?«
    »Ja, aber …«
    Er winkte mich mit seinen Händen zu Mam hinüber, und wir standen steif nebeneinander. Das gefiel Conran
nicht. Als er unsere starre Körperhaltung nicht zu seiner Zufriedenheit ändern konnte, setzte er uns schließlich ins Gras und befahl uns, Gänseblümchenketten zu flechten. Wir sahen uns an, setzten uns aber auf den Rasen. Das war leichter, als zu diskutieren. Weil er so lang brauchte, bis er seine Ausrüstung aufgestellt hatte, flochten wir tatsächlich eine Gänseblümchenkette. Eine richtig lange. Zwischen uns breitete sich kameradschaftliches Schweigen aus. Zum ersten Mal an diesem Tag. Zum ersten Mal seit langem. Später sollte sich alles katastrophal verschlimmern. Aber das wussten wir zu diesem Zeitpunkt noch nicht, unsere Köpfe neigten sich zu ihrer Aufgabe hinunter, verbunden über einer einfachen Kette aus Gänseblümchen.
    »Jetzt brauche ich die Mutt-är und den Vat-är des Bräutigams«, kommandierte Conran.
    Mrs Ryan trat nach vorn. Conran öffnete den Mund, um die Frage zu stellen.
    »Er hat mich verlassen. Für eine Frau, die halb so alt war wie er. Er lebt jetzt, soweit ich weiß, irgendwo in Afrika unter Eingeborenen.« Mrs Ryan sagte es in herausforderndem Ton, sie traute es Conran zu, dass er eine Bemerkung darüber machen würde. Klugerweise tat er es nicht.
    James brachte Ella, Thomas und Matthew in den Park. Conran flocht wilde Blumen in Ellas blondes Haar. Ihre Brüder bildeten mit ihren Händen einen Thron und schaukelten ihre kleine Schwester darauf. Ella lächelte mit offenem Mund, die

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