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Tag vor einem Jahr

Titel: Tag vor einem Jahr Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C Geraghty
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sein, ich konnte es selbst nicht glauben.
    »Schau, wir können uns später unterhalten, in Ordnung?« Ich beugte mich nach unten, um ins Auto einzusteigen und mich neben Jack zu setzen.
    »Wenn du willst, kannst du Shane mitnehmen.« Mam schien überrascht zu sein, dass ich nicht bereits gefragt hatte.
    »Nein, das ist schon in Ordnung. Aber danke.« Ich lächelte, und sie sah verwirrt aus.
    »Fahren Sie los, Jeeves«, sagte ich zu Milo. Um ihm Gerechtigkeit widerfahren zulassen, sei erwähnt, dass er
seine Kappe zog und mit »Ja, Madam« antwortete, allerdings in seinem platten Dubliner Akzent, womit es nicht so großartig klang, wie es eigentlich hätte klingen sollen.
    Als das Auto losfuhr, drehte ich mich nicht um. Ich freute mich nicht auf das – längst überfällige – Gespräch mit Shane. Aber was immer auch geschehen würde, ich war überzeugt, damit umgehen zu können. Ich fühlte mich eigenartig stark, seltsam klar.

46
    Dieses Gefühl von Stärke und Klarheit hatte sich nach zwei Stunden mit dem Hochzeitsfotografen restlos verflüchtigt. Nach all dem Stehen war auch jegliches Gefühl aus meinen Füßen verschwunden, ich konnte meine Zehen nicht mehr spüren. Von all dem Lächeln tat mir der Kiefer weh. Durch das Hinterhertragen von Clares Schleier waren meine Arme schwer wie Blei. Ein Brautschleier sieht zwar luftig leicht aus, aber nach zwei Stunden mit dem Hochzeitsfotografen würde man auch ein Sack voller Federn spüren.
    Alle anderen Gäste hatten sich in Richtung Hotel davongeschlichen, um, begleitet von den zarten Melodien eines Streichquartetts, Champagner zu trinken und Erdbeeren zu essen. Milo, dessen Atem inzwischen verdächtig nach Brandy roch, trug ein breites Grinsen auf dem Gesicht. Er hatte uns zum Rosengarten im St Anne’s Park chauffiert. Jetzt saßen nur noch Jane, Mam und ich im Auto. Jack hatte Mary zum Bus begleitet, da sie darauf bestanden hatte, damit zu fahren. Seit sie dieses kostenlose Seniorenticket besaß, war sie zu einem Junkie in Sachen öffentliche Verkehrsmittel geworden, das galt selbst für die Hauptverkehrszeiten, während denen ihr Ticket streng genommen nicht galt. Doch welcher Busfahrer würde sie schon zurückweisen? Mam ließ das Autofenster hinunter und sah ihre Mutter und Jack an.
    »Verirrt euch bitte nicht.« Eigentlich wollte sie damit sagen: »Mary, bitte bringe meinen Freund nicht in ein Pub, um ihn betrunken zu machen und ihm unanständige Geschichten
über Verwandte zu erzählen, die er später kennenlernen könnte. Oh, und bitte mach dich nicht an ihn ran, ja?«
    Als Antwort schlang Granny Mary ihren Arm um Jack, und führte ihn mit sich weg, als ob sie diejenige wäre, die sich um ihn kümmerte und nicht andersherum.
    Mam und Jane waren vollkommen vertieft in ein angeregtes Gespräch über Hochzeitsgeschenke.
    »Ich habe ihr gesagt, dass sie eine Liste machen soll«, sagte Mam mit dünner Stimme. »Ich habe es ihr immer wieder gesagt, aber sie hat keine gemacht. Jetzt hat sie fünf Sets dieser Champagnergläser von John Rocha. Das sind dreißig Champagnergläser. Dreißig.« Das kam von einer Frau, die in ihrer Küche exakt sechs Stück von allem hatte. Abgesehen von Champagnergläsern, die gab es gar nicht.
    »Ja, aber sie kann sie jederzeit zurückbringen und gegen etwas anderes umtauschen.« Gegen Janes Logik anzukommen, war schwer, weshalb Mam einfach nur verärgert die Nase rümpfte.
    Während Jane sich mit Mam die allergrößte Mühe gab, schaute ich aus dem Fenster. Mam war so angespannt wie eine aufgezogene Uhr, und ich wusste, dass jedes Wort von mir nur Öl aufs Feuer sein würde.
    Es ist erstaunlich, wie die Sonne die Liebespaare an die frische Luft bringt. Die Straßen waren voll davon, sie hingen aneinander, die Arme im Rücken verschlungen, die Hände selbstgefällig in die Hosentaschen des jeweils anderen gezwängt. Wo waren sie denn an all den anderen Tagen des Jahres, an denen es regnete? Oder an jenen grauen Tagen, an denen man sich wünschte, dass es regnete, nur um die tödliche Langweile zu durchbrechen? Vielleicht lagen sie ja an diesen anderen Tagen im Bett, fütterten sich gegenseitig mit Obstschnitzen und Stückchen von Terry’s
Chocolate Orange, leckten mit nassen Zungen Schokoladenkrümel und Fruchtsaft auf und sahen sich französische Filme an, die mitten in der Geschichte abbrachen. Während ich diese Liebespaare beobachtete, war es Bernard, an den ich dachte.
     
    Der Hochzeitsfotograf – sein Name war Conran d’Arcy

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