Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Tag vor einem Jahr

Titel: Tag vor einem Jahr Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C Geraghty
Vom Netzwerk:
Anzug mal unter die Lupe genommen? Ein klarer Fall vom hässlichen Entlein, das sich in einen Schwan verwandelt hat.«
    »Oh«, sagte ich verärgert. »Du fandest ihn vorher also hässlich?«
    »Na ja, nicht wirklich hässlich. Aber er musste eindeutig
etwas aufgepeppt werden. Der Kerl war der reinste Computernerd.«
    »Ja, aber wahrscheinlich wird er sich wieder in einen Computernerd verwandeln. Morgen, meine ich, wenn die Hochzeit vorbei ist.«
    »Nicht, wenn ich dabei etwas mitzureden habe.« Caroline sah aus, als würde sie gleich ihr dämonisches Lachen zum Besten geben. Ich hielt sie auf, bevor sie loslegte.
    »Also, Caroline, ich sollte jetzt besser gehen und mich um meine Pflichten kümmern.«
    »Hervorragend. Komm danach in die Bar und geselle dich auf einen Drink zu uns. Laura und die anderen sind angekommen. Sollte ich gerade Bernard küssen, wenn du kommst, dann stör mich bitte nicht dabei, ja?« Sie entfernte sich lachend.
    Meine Finger zitterten ein bisschen und sehnten sich nach dem Trost einer Zigarette. Ich tastete durch mein Kleid meinen Oberschenkel entlang und meine Hand schloss sich um das zerdrückte Rechteck der Zigarettenschachtel. Ich atmete durch und ging nach draußen.

48
    Der Vorfall, der zu dem Streit führte, der wiederum zu allem Weiteren führte, war, wie es so oft ist, völlig unbedeutend.
    Hätte ich mich nicht in einer weit entfernten Ecke des Gartens hinter einer Mauer auf einer Bank versteckt, wäre es nie dazu gekommen. Aber es war eben einfacher – heimlich zu rauchen, wenn Mam in der Gegend war. Wie auch immer, ich wollte für eine Weile allein sein. Die Bank fühlte sich in meinem Rücken warm an, und ich lehnte mich dagegen und schloss die Augen.
    Die Luft war erfüllt mit der Verheißung des Sommers. Knospen verfärbten sich rosa und dufteten, eine frühe Klematis rankte sich einen stützenden Stab entlang. Ihr Duft war süß und schwer. Die Abendsonne schien heiß, und ich spürte, wie sich auf meinem Gesicht die Sommersprossen ausbreiteten.
    Am Rand meines Bewusstseins vernahm ich ein Gespräch. Zuerst konnte ich es nicht verstehen. Ich hörte zwei Stimmen, die eines Mannes und einer Frau, die in meine Richtung kamen. Als sie sich näherten, wurden die Stimmen deutlicher.
    »… das Einzige, um was ich sie gebeten habe … typisch … so unachtsam.« Es war meine Mutter. Mir war sofort klar, dass sie von mir sprach, doch selbst jetzt konnte ich mich nicht daran erinnern, um was zum Teufel sie mich gebeten hatte. Ich warf meine Zigarette auf den trockenen
Boden und durchbohrte sie herzlos mit einem Absatz. Dann drückte ich mich an die Banklehne. Es gab kein Versteck, weshalb ich einfach blieb und wartete. Von der anderen Seite des Buschs, hinter dem ich wartete, war Jacks Stimme zu hören.
    »… ein großer Tag … wahrscheinlich bei ihren Freunden … junge Leute …«
    Er war so ein Schatz.
    Sie waren jetzt nah. Kussgeräusche.
    »Hör auf, Jack, es könnte uns jemand sehen.« Sie nannte ihn Jack! Ich wusste es.
    Mehr Küsse. Schmatzende Küsse. Ich war wie ein kleiner Käfer, der auf dem Rücken lag und sich wand, sich aber nicht wegbewegen konnte. Wenn ich mich wegbewegte, würde sie mich vielleicht hören. Wenn ich mich wegbewegte, würde ich vielleicht nicht hören, was sie als Nächstes sagte.
    Und dann kam das Gespräch. Das, das ich verdiente. Das, das ich gehofft hatte, nie zu hören.
    »Was ist los, Liebling?.«
    »Ich vermisse Patrick. Er hätte heute hier sein sollen. Ich vermisse ihn so sehr.« So wie meine Mutter es sagte, klang es wie ein Gebet. Ihr war bewusst, dass es nichts brachte, zu sagen, aber sie sagte es trotzdem.
    Jacks Antwort klang gedämpft, und ich vermutete, dass er sie fest an sich drückte. Sie erwiderte etwas, aber ich konnte es nicht verstehen.
    »Es hat keinen Sinn, so etwas zu sagen, Liebling. Grace gibt sich schon selbst die Schuld. Das ist genug Schuld für einen Menschen«, erwiderte Jack.
    Diese Worte trafen mich wie ein Schlag in den Magen. Ich musste weg. Ich wäre auch gegangen, hätte sich nicht mein Kleid an der Ecke der Bank eingeklemmt. Das hauchdünne
Material riss mit einem durchdringenden Kreischen. Jetzt geriet ich in Panik, ich löste das Kleid von der Bank und entfernte mich so schnell wie möglich. Rennen konnte ich nicht, denn meine Absätze versanken bei jedem Schritt in der Erde.
    »Grace?« Es war Mam, ihr gerötetes Gesicht kam neben dem Busch zum Vorschein, der uns nur Augenblicke zuvor voneinander getrennt

Weitere Kostenlose Bücher