Tag vor einem Jahr
aber es war auch eine Erleichterung.
»Komm her.« Er kniete sich neben mich, hielt mich fest und wiegte mich, als wäre ich ein Baby. Es war beruhigend. Sein Geruch. Und die Wärme. Ich war geborgen und spürte, wie ich mich entspannte. Zwar weinte ich, aber jetzt schon weniger. Ich konnte Wellen hören, und Sterne leuchteten am dunklen Himmelszelt. Ich weiß nicht, wie lange wir so verharrten.
Plötzlich änderte sich etwas, ich wurde mir des hämmernden Herzens in seiner Brust bewusst, der Haut an
seinem Hals. Ich konnte sein weiches Ohrläppchen sehen. Das Pochen in meinem Körper spüren – wie der rhythmische Trommelschlag bei einer Parade. Ich zog mich ein Stück zurück und schaute ein kleines bisschen nach oben. Er sah mich an, so sanft. Ich berührte sein Gesicht, ich konnte nicht anders. Und dann küsste er mich. Nicht wie die anderen Male. Es war ein zärtlicher Kuss, weich und süß. Keiner von uns bewegte sich.
Bernard riss sich zuerst los. Er schien im Begriff zu sein, etwas zu sagen, tat es aber nicht. Stattdessen küsste er mich wieder, seine Hände umfassten mein Gesicht, sein Atem ging jetzt schneller.
Die Stimme überraschte uns beide.
»Was macht ihr da?«
Es war Caroline. Der rote Stein, den sie um den Hals hängen hatte, funkelte wild. Sie dagegen war blass, stand da und sah uns an.
Bernard und ich fuhren wie von der Tarantel gestochen auseinander.
»Caroline …« Bernard stand auf und machte einen Schritt auf sie zu. Ihr Schweigen hielt ihn zurück.
»Caroline, ich …« Meine Stimme war vom Weinen heiser. Ich taumelte auf meine Füße und ging auf sie zu, ohne zu wissen, was ich sagen sollte.
Caroline schüttelte langsam den Kopf und entfernte sich von uns, ohne den Blick abzuwenden. Sie schien nicht wütend zu sein, und das war das Schlimmste. Hätte sie mich angeschrien oder, noch besser, mich geschlagen, hätte ich mich nicht so schrecklich schuldig gefühlt. Aber sie machte nichts dergleichen. Sie ging einfach weg, ohne ein Wort zu sagen.
Wir starrten ihr hinterher.
»Ich gehe besser und spreche mit ihr«, sagte ich schließlich.
»Grace …«
»Ich gehe besser«, sagte ich einmal mehr, und er nickte und wandte sich dem Strand zu.
Als ich Caroline einholte, war sie fast beim Hotel. Ich musste ihr nachlaufen, um sie zu erreichen, bevor sie drinnen verschwand.
»Caroline.« Ich berührte ihren Arm. Sie schüttelte mich ab, als hätte ich eine ansteckende Krankheit, blieb aber stehen und drehte sich um. Ihre Nasenspitze war weiß, wie immer, wenn sie außer sich war vor Wut, aber sie sah nicht wütend aus. Sie sah traurig aus. Enttäuscht. Im Stich gelassen. Ich konnte sie kaum ansehen.
»Caroline, ich …«
»Wie lange schon?« Ihre Worte klangen wie das trockene Knacken zerbrechender Äste.
Ich wusste genau, was sie meinte. Auch ich hätte zuerst diese Frage gestellt. Ich öffnete den Mund, war ihr aber nicht schnell genug.
»WIE LANGE SCHON, GRACE? WIE LANGE?«
»Es war in der Woche vor deinem Blind Date. Ich war betrunken, war stinksauer auf Shane. Ich habe es nicht vorgehabt, es ist einfach geschehen.«
»In der Nacht, die du angeblich bei Clare verbracht hast?« Caroline besaß das Gedächtnis eines Elefanten.
»Ja.«
»Du willst also sagen, dass du jene Nacht mit Bernard verbracht hast. Dass du mit ihm geschlafen hast?«
»Ja.« Es kam einem Flüstern gleich.
»Du hast gewusst, was ich für ihn empfinde.«
»Es ist passiert, bevor du ihn kennengelernt hast. Ich wusste nicht, dass er ein Cousin von Richard ist. Ich wusste nicht, dass er dein Blind Date ist, bis er damals zu uns in die Wohnung kam.«
»Und du hast nie ein Wort verlauten lassen.«
»Was hätte ich sagen sollen? Ich fühlte mich schuldig wegen Shane. Ich hatte Angst, dass du mich hassen würdest.«
»Nun, dafür ist es jetzt ein bisschen zu spät.«
»Caroline, hör mir zu. An jenem Wochenende kamen wir überein, diese Sache zu vergessen.«
»Was war das dann gerade in den Dünen? Eine beschissene Mund-zu-Mund-Beatmung?«
»Nein, das war … das war so nicht geplant … Ich war nur völlig aufgelöst … Ich hatte einen Streit mit Mam, und er hat nur …«
»Hör auf! Hör verdammt nochmal auf! Ich will keine deiner erbärmlichen Entschuldigungen mehr hören.«
Man fing an, zu uns herüberzusehen, und Caroline hörte auf zu schreien, sie war ganz außer Atem. Ohne ein weiteres Wort drehte sie sich um und verschwand im Foyer. Einen Augenblick stand ich allein da, die neugierigen
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