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Tag vor einem Jahr

Titel: Tag vor einem Jahr Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C Geraghty
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Wimperntusche. Ihre Körpersprache war das Gegenteil von diskret. Sie hätte einen Aufkleber auf der Stirn tragen sollen mit der Aufschrift: »Vögel mich bis zur Besinnungslosigkeit.« Stattdessen beugte sie sich ständig nach vorn und bot Bernard Einsicht in ihr Dekolleté, wobei sie ihre Brüste mit ihren Ellbogen zusammenpresste und sie dadurch vergrößerte – der älteste Trick überhaupt. Sie lachte viel und berührte seinen Arm, wenn sie sprach. Als ich sah, wie Bernard über etwas lachte, das sie gesagt hatte, und ihr seinen Kopf zuneigte, spürte ich, wie etwas Kaltes nach meinem Herzen griff.

    »Grace, was meinen Sie?« Meine Aufmerksamkeit wurde an unserem Tisch zurückverlangt.
    »Oh, man sollte ihnen erlauben, Sex zu haben. Das könnte vielleicht einige dazu ermutigen, Priester zu werden«, sagte ich. »Menschen brauchen Sex. Genau genommen sollte er nicht nur erlaubt sein, sondern zwingend vorgeschrieben werden«, endete ich.
    Vater Rafferty – ich meine, Ray – sah hocherfreut aus und schob seinen Stuhl näher zu meinem.
    »Nun ja«, entgegnete Mrs Ryan steif. »Ich hatte seit fünfunddreißig Jahren keinen Sex mehr, und es macht mir überhaupt nichts aus.«
    Ich stimmte ihr, um ehrlich zu sein, nicht zu. Eine hübsche kleine Nummer hätte vielleicht ihren Gesichtszügen etwas von ihrer Starrheit und ihrer Haltung etwas von der Steifheit genommen. Doch es war jetzt nicht der rechte Zeitpunkt, darüber nachzudenken. Shane kam auf mich zu, aufgeregt und außer Atem. Er warf einen Blick über die Schulter, und ich folgte ihm. Er führte geradewegs zu meiner Großmutter, deren Lippen das Wort »Brandy« formten, und zwar einen großen, ihren Gesten nach zu urteilen.
    An Bernards Tisch fehlten Leute. Bernard und Caroline waren fort, ihre leeren Plätze verhöhnten mich. Mein Blick flog durch den Saal, aber ich konnte sie nicht sehen und sackte auf meinen Stuhl zusammen – besiegt. Caroline hatte ihn bekommen. Sobald sie ihn anvisiert hatte, hatte Bernard keine Chance mehr gehabt. Kein Sterblicher hatte eine Chance gegen Caroline. Es versetzte mir einen scharfen Stich. Ich stellte mir vor, wie sie sich küssten. Sollten sie heiraten, würde Caroline mich vielleicht fragen, ob ich ihre Brautjungfer sein würde. Sollten sie ein Baby bekommen, würde ich vielleicht Patin werden. Ich würde immer nah sein, aber nie nah genug.

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    »Grace, hast du überhaupt ein einziges Wort von dem, was ich gesagt habe, gehört?« Shane stand vor mir am Tisch. Er zerrte mit einem bittenden Blick in den Augen an meiner Hand.
    Ich schob meinen Stuhl zurück, stand auf wackligen Beinen auf, nahm seine Hand und erlaubte ihm, mich aus dem Speisesaal zu führen.
    »Wohin gehen wir?«, fragte ich ihn, als er vor dem Aufzug stehen blieb und mit der Hand auf den Knopf schlug.
    »Hoch. In dein Zimmer. Ich brauche Sex. Deine Großmutter hat mich völlig wahnsinnig gemacht. Du würdest nicht glauben, was sie mir alles erzählt hat.« Er sprach schnell, als wäre er außer Atem, und schaute unruhig hin und her.
    Ich war neugierig. »Aber was hat das damit zu tun, dass du Sex mit mir haben willst?«
    »Ich bin total gestresst, Sex wird mich runterbringen.« Seine Augen klebten an der Anzeige über den Türen. Der Aufzug befand sich im dritten Stock und war auf dem Weg zu uns. Er hämmerte mit den Fingern auf den Knopf.
    »Shane, ich bin kein Beruhigungsmittel.« Ich machte einen Schritt von ihm weg.
    »Herrgott, Grace, das weiß ich doch. Ich war nur … Ich dachte, du würdest es auch wollen. Es war einfach ein höchst sonderbarer Tag. Eine deiner Cousinen kann ihre Augen so seltsam verdrehen, und das hat mich ganz durcheinandergebracht.
Und dann deine Granny …« Er fuhr sich mit der Hand durch die Haare, war aber mit dem Herzen nicht bei der Sache.
    »Warum bist du heute gekommen?« Plötzlich wollte ich das wirklich wissen.
    Ein schrilles »Ping« durchschnitt die Luft und die Aufzugtüren glitten auf. Drinnen standen Caroline und Bernard, und Shane und ich sprangen auseinander, um die beiden herauszulassen.
    »Wir suchen nur die Pianobar«, erklärte uns Bernard.
    Caroline erhaschte meinen Blick und zwinkerte mir zu. Ihr sonst so blasses Gesicht war leicht gerrötet, und aus dem Knoten an ihrem Hinterkopf hatten sich einzelne Strähnen gelöst.
    »Oh ja, die gute alte Pianobar«, sagte Shane und schob mich, seine Hände an meinem Körper, in den Aufzug. »Dahin sind wir auch gerade unterwegs.«
    Ich sah Bernard an, und er sah

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