Tag vor einem Jahr
Kunstleder-Kippstuhl, den ich aus dem Büro eines früheren Direktors entwendet hatte, der zwei Tage nach seinem großen Fest zur Verabschiedung in den Ruhestand – plötzlich und friedlich – verstorben war.
Ich schaltete meinen Computer an, seine Pieptöne und Rülpser spendeten mir Trost. Hier wusste ich, wer ich war, hatte einen Platz in der Hackordnung, egal, wie klein er war. Fast war ich hier in dieser Nische aufgewachsen, so lange war ich schon da. Ich wusste, wo die Büroklammern versteckt und die Leichen begraben waren.
Ein Blick auf meine Armbanduhr. Es war 8 Uhr 30. Bis zu dem Gespräch mit dem Chef dauerte es noch fünfeinhalb Stunden. Dreißig Minuten oder weniger würde es dauern, bis Bernard O’Malley unten im Empfang eintreffen würde. Mit meiner Jacke so ganz beiläufig über dem Arm. Shane war am Ende der Woche fällig. Ich machte mich auf den Weg zur Küche am Ende des Flurs. Ich brauchte Kaffee.
Die kleine Kaffeeküche lag angenehmerweise nur zehn Schritte von meinem Schreibtisch entfernt. Eines Tages hatte ich sie gezählt, ich versuchte damals auszurechnen, wie weit ich an einem durchschnittlichen Arbeitstag zu Fuß ging:
Damentoilette: 10 ½ Schritte.
Ciarans Kabuff auf dem Parkplatz: 45 Schritte.
Verkaufsautomat: 14 Schritte.
Schrank mit Büromaterial: 5 Schritte.
Aufzug: fast 5 Schritte.
Angesichts des ganzen Umhergehens im Büro (1,1 Kilometer an einem durchschnittlichen Tag, bei all den Rauchpausen, Kaffeepausen und Ausflügen zum Verkaufsautomaten, um Malteser-Schokokugeln zu holen), kam ich zu der Überzeugung, dass dies auch eine Form von sportlicher Betätigung war, weshalb ich mir zugestand, meine Mitgliedschaft im Fitnesscenter guten Gewissens ablaufen zu lassen.
Ich goss kochendes Wasser über zwei gehäufte Teelöffel Instantkaffee und fügte drei gestrichene Löffel Zucker dazu. Das reichte für einen Koffeinschock. Um es aufzuschäumen, rührte ich das Gebräu mit zwei Löffeln um.
Die Küchentür öffnete sich, und ich schreckte auf. Hatte ich Selbstgespräche geführt? Oder hatte ich wie ein normaler Mensch nur in Gedanken gesprochen? Ich drehte mich langsam um.
An der Tür stand Bernard O’Malley, bewegungslos wie eine Statue, und beobachtete mich auf eine Weise, bei der es mir gleichzeitig heiß und kalt wurde.
»Ich habe gar nicht bemerkt, dass du das bist« sagte er. Seine Hand blieb auf dem Türgriff liegen.
Er hatte sich nicht rasiert, wegen der Bartstoppeln wirkten seine braunen Augen dunkler, ja fast schwarz. Die geisterhafte Blässe seines Teints und das himmelschreiende Rot seiner Haare erinnerten mich an ein Ersatzteillager: ein Förderband mit Teilen, die nicht so recht zusammenpassten. Er wirkte müde.
»Ich mache mir nur Kaffee«, sagte ich, wobei ich spüren konnte, wie mir die Farbe ins Gesicht stieg. Ich meine, was sollte ich denn um diese Zeit in der Küche auch anderes tun? »Möchtest du auch welchen?« Ich beugte mich zur offen stehenden Kühlschranktür hinunter und bemerkte seine Schuhe. Schuhe, wie sie sonst nur Schuljungs trugen: mit dünnen Schnürsenkeln, die an den Enden ausfransten. Sie hätten etwas Spucke und Polieren vertragen können.
»Ich habe das da.« Er blieb in der Tür stehen und hielt etwas hoch, das nach Tütchen mit Instant-Cappuccino aussah. »Ich habe sogar etwas Schokoladenpulver zum Draufstreuen.« Jetzt lächelte er, und ich konnte seine Erleichterung spüren. Wir führten ein ganz alltägliches Gespräch. Über Kaffee. Als Nächstes würden wir uns vielleicht dem
Wetter zuwenden und danach möglicherweise unseren Urlaubsplänen. Wir führten Smalltalk wie Friseure.
»Dieses Zeug ist die totale Plörre«, sagte ich.
Bernard begann laut zu lachen, und ich war ganz platt. Bisher hatte ich ihn nur sein kleines Lächeln lächeln sehen. Sein Lachen klang wie ein Eselsschrei, kehlig und kurz. Als er aufhörte, schien es in der Küche ganz still zu sein. Die Stille zog sich in die Länge.
»Komm doch herein.« Ich sagte es, als würde ich in einer Bauernküche stehen, meine Hände voller Mehl. Der Teelöffel, den ich in der Hand hielt, zielte auf ihn wie ein Friedensangebot.
Als er seine Hand vom Türgriff nahm, schlug die Tür hinter ihm zu, wir fuhren zusammen.
Er nahm mir den Löffel aus der Hand, manövrierte mich zu meiner Überraschung sanft auf den Stuhl, und beschäftigte sich mit dem Kaffeemachen. Während ich ihn von hinten beobachtete, entspannte ich mich. Er machte kaum Lärm und bewegte sich nur
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