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Tag vor einem Jahr

Titel: Tag vor einem Jahr Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C Geraghty
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Lachen. So lange ich lachte, musste ich nicht daran denken, dass jeder irgendwie weitermachte. Und ihn zurückließ. Mich zurückließ.
    Als ich ins Schlafzimmer ging, um an mein klingelndes Handy zu gehen, lachte ich noch immer.
    »Du hörst dich ja an, als wärst du richtig gut drauf.« Es war Shane.
    »Shane«, rief ich, und vergaß dabei, dass ich wütend auf ihn war, weil er sich eine ganze Woche lang nicht gemeldet hatte. »Ich vermisse dich, wann kommst du heim?« Herrje, wo war meine Selbstachtung geblieben? Meine Gelassenheit? Wo waren meine weiblichen Waffen? Es hatte den Anschein, als hätte mich alles verlassen, während ich auf meinem zerwühlten Bett lag und das Handy fest an mein Ohr presste.
    »Kann ich nächstes Wochenende rüberkommen und dich sehen? Ich vermisse dich auch, Baby.«
    Ich schmolz dahin wie Schokolade in der Sonne. Ich liebte es, wenn er mich in seinem unglaublichen Cork-Akzent »Baby« nannte.
    »Ja, ja, ja«, stöhnte ich auf höchst zweideutige Weise. »Ich hol dich vom Flughafen ab. Wann kommst du an?« Ich fragte mich bereits, was ich anziehen sollte und ob mir zwischen heute und Freitag Zeit für einen Haarschnitt, Bein-, Bikinizone- und Achselwaxen und vielleicht etwas Botox blieb.

    »Nein, mach dir keine Umstände. Ich komme Freitagmorgen an und muss ins Büro zu einer Sitzung. Ich treffe dich nach der Arbeit, in Ordnung?«
    »Oh«, erwiderte ich langsam.
    »Hör mal, Grace, ich wäre sowieso gekommen. Dann kam das mit der Sitzung. Sei nicht sauer auf mich. Ich weiß, ich war in Sachen Kontakthalten ziemlich schlecht, aber ich verspreche dir, ich mache das wieder gut.« Jetzt war er an der Reihe, zweideutig zu klingen. Mein Bauch – den ich automatisch eingezogen hatte – schlug eine Reihe von Mini-Purzelbäumen und ließ mich vor Aufregung leicht benommen zurück.
    Nachdem er sich verabschiedet hatte, rappelte ich mich hoch, stellte mich aufs Bett und boxte mit meinen Fäusten in die Luft. Dann griff ich mein Nachthemd, hob es bis zu den Knien hoch und vollführte auf dem Bett einen Irish Dance. Die Sprungfedern quietschten im Takt.
    Eine kleine Erinnerungsblase – mit der Aufschrift Bernard O’Malley – schwebte mir in den Sinn und platzte laut. Ich zwang sie an das Ende der Schlange, in der die Schuldgefühle sich aufgereiht hatten, und befahl ihr zu warten, bis die Euphorie mich verlassen hätte, dann könne sie anklopfen.
    Shane kam. Er hatte mich »Baby« genannt. Er hatte gesagt, dass er mich vermisste. Alles würde gut werden. Ich wusste es.

12
    Am Montag wählte ich aufgrund meines 14-Uhr-Termins mit dem Chef meine Kleidung mit großer Sorgfalt aus.
    Er neigte dazu, während er mit weiblichen Angestellten sprach, eingehend deren Brüste zu betrachten.Um ihm eins auszuwischen, zog ich ein enges, aber enttäuschend hochgeschlossenes cremefarbenes Top mit einem aufreizenden, leicht zu öffnenden Band am Hals an – nur um ihn auf Trab zu halten. Darüber trug ich ein strenges schwarzes Kostüm, dessen Rock knapp unter den Knien – meinen schlimmsten Körperteilen – abrupt aufhörte, um bis zu den Fesseln (meine besten Körperteile: außergewöhnlich schlank) meine bloßen, nur in durchsichtiges Nylon gehüllten Beine freizugeben. Ich ermutigte meine Füße zu nadelspitzenförmigen Stiletto-Absätzen (»es tut gar nicht weh, meine Süßen, ehrlich«), gab Foundation auf meine blasse Gesichtshaut, stäubte etwas Puder darüber, setzte dramatische Akzente mit einem Hauch Rouge, bevor ich den Inhalt meiner dunkelbraunen Mascara auf meine kurzen rotblonden Wimpern klatschte. Ich funkelte wütend mein Spiegelbild an, um so einschüchternd wie nur möglich auszusehen. O mein Gott! Ich rieb fast das ganze Rouge wieder ab. Zum Schluss noch der Lippenstift – schreiendes Rot -, den ich dick auftrug. Ich liebte die Art und Weise, wie er mit meinen Haaren kollidierte. Anschließend machte ich mich daran, besagte Haare einzufangen und sie mit einer alles umfassenden, überdimensional langen
Haarspange zu bändigen. »Locker bleiben, Mädchen, locker«, redete ich auf mich ein, während ich meine Haare im Nacken zusammenfasste. Man muss mit Haaren wie meinen sanft umgehen; sie haben ein Eigenleben und können unangenehm werden, wenn man versucht, sie zu bezwingen. Ein paar Spritzer eines haarglättenden Serums, und ich war zum Gehen bereit. Das Wort »Serum« liebte ich. Es hat so etwas Beruhigendes. Zusammen mit »Gelassenheit« und »Botox« diente es mir immer zum Trost.

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