Tag vor einem Jahr
minimal in dem engen Raum. Heute trug er eine dunkelblaue Weste mit orangefarbenen Knöpfen, die so groß wie Untertassen waren. Vielleicht wäre er mit den ausgebleichten Jeans davongekommen, wäre der Hosenbund nicht bis zur Taille hochgezogen gewesen, sondern stattdessen, wie es zur Zeit angesagt war, über die Hüften hinuntergerutscht und hätte das Gummiband von Designer-Boxershorts hervorblitzen lassen.
Er drehte sich zu mir herum, in jeder Hand eine große, dünnwandige Kaffeetasse, auf der es ordentlich schäumte. Ich hätte schwören können, dass er darauf brannte, mit Singsang-Stimme »Et voilà!« zu rufen, aber er tat es nicht, sondern setzte sich mir gegenüber auf die andere Seite des Tisches und rührte in seinem Kaffee. Er schob mit der Fingerspitze
seine Brille nach oben, obwohl sie bereits so hoch auf seiner Nase saß, wie sie nur sitzen konnte.
»Wird dir unten an den Beinen nicht kalt?«, fragte ich ehrlich interessiert.
Bernard lächelte und streckte seine Beine vor sich hin, um seine Hochwasserhose besser demonstrieren zu können. Er schien weder peinlich berührt noch stolz zu sein. Seine Beine waren lang.
»Das hat mein Bruder Edward immer zu mir gesagt.«
Etwas an der Art, wie er das sagte, ließ mich zögern, dieses Gesprächsthema weiter zu verfolgen. Bernard hob den Becher zum Mund. Die Sommersprossen, die seine Arme übersäten, hörten unmittelbar über den Handgelenken auf. Ich versuchte nicht hinzusehen, konnte es aber nicht vermeiden. Es verging eine Ewigkeit, bis einer von uns etwas sagte.
»Ich glaube, ich werde heute entlassen.« Kaum zu glauben, dass ich das laut ausgesprochen hatte. Ich senkte den Kopf, häufte Zucker auf den Kaffeeschaum und sah zu, wie er auf der dünnen Schaumschicht braun wurde und schmolz.
»Nun, falls es wirklich so sein sollte, kannst du nicht viel dagegen tun, es hat also keinen Sinn, sich Sorgen zu machen.« Bernard sprach mit gelassener Stimme, und seine Worte umspülten mich wie warmes Wasser.
»Danke«, war alles, was ich sagte. Er sah zu mir her, um herauszufinden, ob ich es sarkastisch meinte. Ich grinste ihn an und trank einen großen Schluck Cappuccino.
»Gar nicht schlecht.« Ich leckte mir über die Lippen, hörte aber schlagartig wieder damit auf, damit er nicht denken würde, dass ich mit ihm flirtete. Unser Umgang miteinander war gerade ziemlich normal und unzweideutig, und ich wollte es dabei belassen.
»Was machst du heute noch?«, fragte ich.
»Ich fahre nach Hause. Eine Familienangelegenheit.« Er klang gelangweilt, aber an seinem Hals zuckte ein Muskel.
»Aha, ich verstehe«, sagte ich, als klar wurde, dass keine weiteren Erklärungen folgen würden. »Nach Donegal, oder?«
Er lächelte und nickte ganz leicht mit dem Kopf.
»Tja, dann gute Reise, ich sehe dich sicherlich, wenn du wieder da bist.«
Er erhob sich vom Stuhl und hatte seinen Becher und Löffel abgewaschen und abgetrocknet, bevor ich meine Tasse überhaupt ein zweites Mal an den Mund gesetzt hatte.
»Bis dann!« Und weg war er.
»Das ging ja besser als erwartet«, sagte ich laut zu mir selbst. Meine Stimme hallte von den nackten Wänden der leeren Küche. Ich übertönte die Stille, indem ich mit lauter Stimme »Private Dancer« sang und nicht damit aufhörte, bis sich meine Herzfrequenz zu einem regelmäßigen Pochen verlangsamt hatte.
Nach dem Gespräch mit Bernard erschien mir der bevorstehende Termin bei meinem Chef nicht mehr ganz so bedrohlich. Als ich zu meinem Platz zurückkehrte, lag unter meinem Schreibtisch eine diskret deponierte Tüte (schönes festes Papier in hübschen Farben und mit dicken Tragegriffen aus gewundenem Garn), in der sich die schwarze Lederjacke befand, die ich am Freitag in Bernards Wohnung vergessen hatte.
»Du bist nach Hause gekommen«, flüsterte ich, grub meine Nase in ihre weichen Falten und machte einen tiefen Atemzug.
»Hm, äh, Grace.«
Ich hob den Kopf, schlug ihn mir dabei unten am Schreibtisch an und fluchte wie ein Hafenarbeiter, bevor
ich die Schuhe erkannte, die zu der über mir schwebenden Stimme gehörten. Es waren schwarze Slipper mit einer silbernen Schnalle auf der Oberseite, die so glänzte, dass ich den Widerschein eines PMS-Pickels sehen konnte, der sich auf meinem Kinn gebildet hatte. Diese Schuhe mussten zuletzt auf dem Höhepunkt der Drei Engel für Charlie -Ära (und ich spreche hier von den original Engeln für Charlie) modern gewesen sein und konnten nur einem Mann gehören.
»Guten Morgen,
Weitere Kostenlose Bücher