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Tag vor einem Jahr

Titel: Tag vor einem Jahr Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C Geraghty
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entschuldigen Sie bitte«, sagte ich ein zweites Mal und wischte mit meinem Jackenärmel den Wasserfleck weg. »Soll ich Ihnen neues Wasser holen?«
    Allmählich sah er ungeduldig aus. Er schüttelte den Kopf und hob die Hand, um mich zum Schweigen zu bringen.
Ich lehnte mich auf meinem Stuhl zurück und atmete tief durch, entschlossen, nichts mehr zu sagen, bis er mit seinem Geschwafel fertig war. Bevor er fortfuhr, zog er für eine Weile das Schweigen in die Länge.
    »Grace, wir brauchen Sie nicht mehr als Sachbearbeiterin für Schadensfälle.« Seine Worte sanken langsam auf mich herab, wie Blätter, die im Herbst von müden Bäumen abgeworfen werden. Aber er lächelte. Das Lächeln eines bösen Geistes, doch nichtsdestotrotz ein Lächeln. Dann redete er weiter.
    »Wir erhalten ein neues Computersystem für die Haftpflicht-Abteilung und brauchen jemanden aus unserem Team, der unsere Interessen in der EDV-Abteilung vertritt und anschließend unser Team für das neue System schult. Sie sind hier schon so lange, Sie kennen das Computersystem in- und auswendig und verfügen über die notwendigen sozialen Kompetenzen und kommunikativen Fähigkeiten, und wir denken, Sie sind die perfekte Anwärterin auf diese Stelle. Was halten Sie davon?«
    Er lehnte sich in seinen Stuhl zurück, legte die Hände hinter den Kopf und sah mich ausnahmsweise einmal direkt an. In Gedanken lag ich auf dem Boden, eine Sauerstoffmaske über meinem Kopf. In Wirklichkeit löste ich meine Beine und überkreuzte sie wieder, dann setzte ich mich auf meine Hände, damit sie nicht mehr zitterten.
    »Sie bieten mir eine andere Stelle an?« Meine Stimme klang schwach.
    »Grace, es handelt sich dabei nicht nur um eine neue Stelle. Das ist eine Beförderung mit großen Möglichkeiten. Sie erhalten jede Unterweisung, die sie brauchen, obwohl ich der Meinung bin, dass Sie nicht wirklich viel brauchen. Wir haben vor, das neue System nach der Haftpflichtabteilung dem Vorstand vorzustellen, und wenn alles funktioniert,
könnten Sie die Person sein, die das ganze Projekt beaufsichtigt.« Jetzt strahlte er mich an, und ich hätte am liebsten aufgeschrien. »Was hast du mit dem Chef gemacht, du verdammter Betrüger?« Es schien fast, als würde es viel besser zu ihm passen, gute Nachrichten zu überbringen, als uns mit Hiobsbotschaften heimzusuchen. Noch immer war er selbstgefällig, selbstzufrieden und hässlich anzuschauen, aber in diesem Moment hätte ich mich hinüberbeugen, ihn an mich drücken und vielleicht sogar mein Top anheben können, um ihm einen kurzen Blick auf die Mädels zu gewähren. Keine Angst, ich habe nichts von alldem getan. Noch hatte ich einen Asthmaanfall oder bin auf den Boden gestürzt, natürlich sagte ich auch nichts Dummes. Stattdessen verhielt ich mich professionell und stellte intelligente Fragen, etwa wie dick meine Gehaltserhöhung ausfallen würde (richtig fett, wie sich herausstellte), wann ich anfangen könnte und ob ich Personal für die lästigen Sachen wie Fotokopieren, Faxen und Tippen erhalten könnte.
    Er schien erleichtert, dass wir wieder zur Normalität zurückkehrten, und die nächste halbe Stunde verbrachten wir damit, die Feinheiten dieser neuen Stelle zu klären. Der Beförderung, wohlgemerkt. Meine Brust schwoll vor Stolz an, sackte aber schnell wieder zusammen, als ich den starken Druck auf dem Band oben an meinem Oberteil spürte, das ich um meinen Hals trug und das zu reißen drohte, womit es meine Sternstunde zerstört hätte.
    Am Ende sagte er etwas Eigenartiges.
    »Äh, Grace, ich weiß, dass dieses letzte Jahr schwer für Sie war, aber, nun ja, Sie sollen wissen, dass man im Vorstand Hochachtung vor Ihnen hat. Ich hoffe, Sie wissen das. Manchmal denke ich, dass Ihnen das nicht bewusst ist.« Bei dieser letzten, sehr offenen Äußerung war ihm wirklich unbehaglich zumute, und er wand sich auf seinem Stuhl wie
ein Sechsjähriger, der mehr als dringend zur Toilette musste. Um ehrlich zu sein, ich war den Tränen nah und verblüfft über seine positiven Äußerungen. Plötzlich konnte ich es nicht mehr erwarten, von hier wegzukommen.
    Er räusperte sich und schnippte eine nicht vorhandene Fluse vom Revers seines Jacketts, womit er zu verstehen gab, dass die Besprechung zu Ende war. Also stand ich auf, noch einen Moment lang unsicher auf den Beinen, und streckte ihm meine Hand entgegen, die er kraftlos schüttelte. Ich ging rückwärts aus dem Büro, lächelte und nickte mit dem Kopf, um mich zu

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