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Tag vor einem Jahr

Titel: Tag vor einem Jahr Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C Geraghty
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Umrühren unseres Kaffees beschäftigt zu sein.
    »John hilft mir dabei, alles durchzustehen. Wollen wir das letztlich nicht alle? Jemanden, der uns zur Seite steht?«
    Da es darauf nichts zu erwidern gab, nickte ich nur.
    »Das hier schmeckt wunderbar«, sagte ich.
    »Danke, Grace.« Wir aßen und aßen und kratzten dann mit unseren Löffeln sorgfältig die Reste aus den Schüsseln. Dann sprachen wir von anderen Dingen: meiner neuen Stelle, Clares Hochzeit, Coronation Street. Den ausgeräumten Raum erwähnten wir nicht mehr.
    Als ich ging, tätschelte Mam mir den Arm, als würde sie einen Igel streicheln.

    »Grace. Wegen …« Sie nickte in Richtung Treppe.
    »Mam, es tut mir leid. Ich hätte gar nichts sagen sollen.«
    »Ich versuche einfach nur weiterzumachen, Grace, verstehst du?« Ihre Augen glänzten verdächtig.
    Ich nickte ihr zu, voller Angst, dass sie noch mehr sagen könnte. Sie tat es nicht und umarmte mich stattdessen auf ihre unbeholfene, steife Art. Ich spürte, wie sich ihre Rippen gegen meine pressten, und zog mich als Erste zurück. Ich wollte so dringend allein sein, dass ich geradezu zu meinem Auto rannte. Am Ende der Straße fuhr ich rechts in eine Sackgasse, schaltete den Motor ab, machte das Licht aus und löste meinen Sicherheitsgurt, und dann ließ ich mich gehen. Ich weinte wie ein Kind, laut und voller Inbrunst, und unternahm nichts, um die Tränenflut einzudämmen, die über mein Gesicht strömte. Ich weinte um meine Mutter. Um mich selbst. Und um Patrick, dessen Namen wir nie mehr erwähnt hatten.

16
    Er starb an einem Freitag, aber sie fanden ihn erst am nächsten Tag. Samstag. An einem Ort mit dem Namen »Bucht der Engel«. Das erschien mir falsch. Alles erschien mir falsch. Dass Patrick an einem solch heißen Ort auf einer kalten Bahre lag. Wo er doch am Tag zuvor noch einen Sonnenbrand bekommen hatte. Seine Gesichtszüge waren erschlafft, und er hätte eine Rasur vertragen können. Der Sonnenbrand war noch immer rot, aber er fühlte sich so kalt an. Der Schock der Kälte, als ich meine Hände auf ihn legte. Der Schock überhaupt. Und sie waren so nett zu mir. Nannten mich Señorita, lächelten und geleiteten mich von Zimmer zu Zimmer. Alle Räume schienen gleich auszusehen. Weiß und nackt. Und dann kam der Raum mit den Bahren. Es waren noch andere da, nicht nur Patrick. Unter den kalten, steifen Tüchern konnte ich ihre Umrisse sehen. Ich dachte an andere Schwestern, Mütter, Töchter, die an diesen Ort gekommen waren und die genickt und gesagt hatten: »Ja, das ist mein Angehöriger.« Ich wollte, dass Patrick aufwachte. Ich wollte, dass dies eines von meinen Tausenden von Missgeschicken wäre, die am Ende irgendwie gut ausgingen. Aber er wachte nicht auf. Er lag so ruhig da, wie ich ihn nun für immer vor Augen haben würde. Ich sah ihn an, und die Leute sahen mich an, und ich nickte, und sie führten mich hinaus durch die endlosen Räume, in den Sonnenschein, der so hell wie die Räume war. Jetzt waren wir zu dritt. Shane, Caroline und ich.
    »Ist er …?« Beinahe sprach Shane die Frage aus.
    »War es …?«, flüsterte Caroline.
    Ich nickte, ohne sie anzusehen. Mein Atem kam mit vertrautem Kratzen, und es war mir willkommen, ich hoffte darauf. Ich hatte mein Asthmaspray nicht bei mir. Ich hatte nichts bei mir außer meinem Kleid, das vergangene Nacht auf meinem Körper getrocknet war. Und meine Sandalen, die der Polizist mir am Strand zurückgegeben hatte. Wo meine Handtasche war, wusste ich nicht. Ich hielt noch den roten Laufschuh in der Hand, die Schnürsenkel waren noch immer zugeschnürt. Den zweiten haben wir nie gefunden.
    »Deine Mutter und Jane sind auf dem Weg.« Carolines Stimme klang entschuldigend. Ich nickte, und in diesem Augenblick war der Gedanke an meine Mutter so tröstlich wie eine warme Decke in einer kalten Nacht. Ich glaubte, dass ich mich zusammenreißen könnte, bis sie kam, und mir dann erlauben würde, mich aufzulösen wie ein Wollpullover, dessen Maschen aufgetrennt wurden. Ich habe keine Ahnung, wie ich das je denken konnte.
    Shane fing an zu weinen. So wie Männer weinen – als würden sie versuchen, nicht zu weinen. Der Asthmaanfall, der mir vielleicht für eine Weile Abstand von mir selbst verschafft hätte, ebbte ab und verschwand. Die Sonne brannte auf uns herunter, und die Hitze drückte uns nieder.
    »Was ist mit Clare?« Meine Stimme war heiser, und meine Kehle schmerzte.
    »Sie ist doch mit Richard in Prag, weißt du nicht mehr?«, meinte

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