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Tag vor einem Jahr

Titel: Tag vor einem Jahr Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C Geraghty
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Caroline. »Jane sagte, sie würde Kontakt mit ihr aufnehmen und ihr sagen …« Ich nickte einmal mehr. Jane würde es ihr sagen. Ich würde es Jane überlassen, es ihr zu sagen. Jane würde wissen, was zu sagen war. Jane wusste immer, was zu sagen war.

    Der Tag verging, obwohl ich nicht weiß, wie. Es gab eine Befragung durch ein paar amtlich aussehende Leute. Es gab einen Dolmetscher und einen Kassettenrekorder, jemanden mit einem Notizheft und einen Mann, der sanft lächelte und sich ständig eine Haarlocke aus der Stirn strich, ohne dass es ihm auffiel, wenn sie fast augenblicklich wieder herunterrutschte. Es gab Kaffee, schwarz und bitter, und irgendeine Sorte Sandwich mit einer dünnen, fleischigen Füllung, das ich nicht aß. Ich kann mich nicht daran erinnern, etwas gesagt zu haben, aber es muss so gewesen sein, weil die Leute mir gegenüber mit dem Kopf nickten, etwas niederschrieben und schließlich den Rekorder ausklickten.
    »Das war’s«, sagte einer von ihnen. »Das war’s.« Wir hätten es auf Patricks Grabstein schreiben können. Das war’s. Es war nicht annähernd genug.
    Es gab Tausende von Vorbereitungen zu treffen, um Patrick nach Hause zu überführen. Man kann nicht einfach ins Internet gehen und eine Fahrkarte buchen. Es gab Formalitäten zu erledigen. Eine ganze Menge davon. Es gab Dienstwege, die man einhalten musste. Jemand kam von der irischen Botschaft aus Malaga, Brian Irgendwie-oderanders, er war auf eine zurückhaltende Art und Weise sehr tüchtig. Und er ging bravourös mit Mam um. Selbst jetzt noch tat es weh, sich an ihr Gesicht zu erinnern. Es war ganz weiß. Und ganz blank, so als ob etwas fehlte. Was natürlich auch der Fall war. Ihr Sohn fehlte. Patrick fehlte.
    Als ich hinausging, um sie zu treffen, kam Jane sofort auf mich zu und zog mich in ihre Arme. Sie weinte, ohne einen Laut von sich zu geben, und das war der Augenblick, in dem ich wusste, dass Patrick fort war und nie wieder käme. Und dass alles meine Schuld war. Meine Mutter sagte kein Wort.

17
    Nach dem Abendessen mit Mam freute ich mich auf die Arbeit am nächsten Tag. Dort war ich beschäftigt und hatte keine Zeit nachzudenken. In meinem Kopf ging Seltsames vor sich. Ich erinnerte mich ständig an Dinge, die Patrick betrafen. Kleine Dinge, wie etwa seine Eigenheit, das Toastbrot in den Kühlschrank zu legen, bevor er es mit Butter bestrich, weil er es nicht mochte, wenn die Butter auf dem Brot schmolz.
    Verrückte Dinge, wie etwa die Art, auf die er eine Zeitung auseinandernahm und sie dann wieder ineinanderlegte, allerdings in der falschen Reihenfolge, um Dad zu ärgern. Schreckliche Dinge, wie das halbfertige Manuskript, das uns ein Mädchen aus Sydney zurückgeschickt hatte.
    »Er hatte die Absicht zurückzukommen«, schrieb sie. »Sobald er die Sache mit seinem Arbeitsvisum geklärt hatte. Er wollte das Buch zu Ende schreiben. Ich weiß nicht, was ich damit anfangen soll, aber ich habe es gelesen. Ich habe es gelesen, und es ist brillant.«
    Und das war es. Witzig und zart und so voll von Patrick. Wir wussten auch nicht, was wir damit anfangen sollten. Und jetzt dachte ich daran. Wo war es? Was hatte Mam bei ihrer Ausräumaktion damit angestellt? Es war eine Erleichterung, mich in die Arbeit zu stürzen und diese Gedanken, die sich wie ein Karussell in meinem Kopf drehten und drehten, abzuschütteln.

    Bernard war aus Donegal zurückgekommen, aber abgesehen von einer kurzen Begegnung am Nachmittag sah ich ihn kaum. Ich stieg im dritten Stock in den Aufzug und drückte E für Erdgeschoss (Zigarette und Kaffee in Ciarans Kabuff). Ich hörte, wie jemand den Flur entlangeilte, um den Aufzug zu erreichen. Ich drückte den Knopf »Tür schließen«, weil ich es vorziehe, im Lift allein zu sein. Dort gibt es einen von diesen wunderbaren getönten Spiegeln, die mein Gesicht so gebräunt aussehen lassen. Außerdem kann man nach dem Mittagessen sein Gesicht überprüfen auf, na ja, Anzeichen von Spinat zwischen den Zähnen oder, nachdem man draußen war, auf Blätter in den Haaren (meist nur im Herbst). Fährt man vom sechsten Stock ganz hinunter, hat man vielleicht genug Zeit, um einen Pickel auszudrücken und/oder Abdeckstift aufzutragen, allerdings braucht man dafür einen Expresslauf ohne Halt in einem der Stockwerke dazwischen.
    Die Türen waren schon beinahe geschlossen, sie glitten wie zwei Skater aufeinander zu, als sich zwei Hände durch den Spalt schoben und sie auseinanderdrückten. Ich erkannte die

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