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Tag vor einem Jahr

Titel: Tag vor einem Jahr Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C Geraghty
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Mann, der sich geschickt anstellte. Ein Mann, der etwas auf die Reihe brachte.
    Das Haus wirkte immer kleiner als in meiner Erinnerung. Neben der ausgewachsenen Birke, die mein Vater als Setzling am Tag meiner Geburt pflanzte, erschien es nun nahezu winzig. In jenen Tagen wurden Väter im Kreißsaal weder erwartet noch wirklich willkommen geheißen, weswegen sie eine Menge Zeit für solche Dinge wie das Pflanzen von Bäumen hatten. Andere Väter begaben
sich zum Pub, um auf das Baby zu trinken. Unser Vater gärtnerte.
    Die Gardine wurde zur Seite geschoben, und das Gesicht meiner Mutter tauchte auf. Ich drückte meine – zur Hälfte gerauchte – Zigarette im Aschenbecher aus und versprühte Wolken von Happy Spray über meiner Person. Es war keine Zeit mehr, mein Make-up zu überprüfen – es war 18 Uhr 59. Ich atmete tief durch und stieg aus dem Auto aus.
    »Grace, du trägst eine interessante Farbkombination.« Sie stand in der Eingangstür, musterte mich von oben bis unten, während ich auf meinen neuen Wildlederstiefeln die Auffahrt entlangstakste. Letztere hatten ihr Versprechen auf Bequemlichkeit, das sie mir beim Anprobieren im Geschäft gegeben hatten, nicht eingelöst.
    Bei der Garderobe für diesen Abend hatte ich es ordentlich krachen lassen. Ich trug ein Top in leuchtendem Orange, darüber eine kratzige Mohairweste. Farbe? Knallpink. Der Rock in klassischer A-Linie, der bis knapp unter meine Knie reichte, war eine wilde Mischung aus Pink- und Orangetönen. Pink plus Orange war meine derzeitige Lieblingsfarbkombination, und obwohl das wie das gastronomische Äquivalent zu Schokolade plus Käse klingt, entspricht es eigentlich eher Fish & Chips.
    »Hallo, Mam«, sagte ich zu laut und drückte ihr Wein und Blumen in die Hand. Sie nahm sie mit einem kleinen Lächeln entgegen.
    »Komm rein, bei dieser Aufmachung holst du dir ja draußen den Tod.« Sie führte mich hinein, voller Angst, dass die Nachbarn mich erspähen könnten. Ich öffnete meine geballten Fäuste und trat ins Innere des Hauses. Der Duft nach Essen umhüllte mich wie ein Versprechen. Ich hatte eine Schwäche für die Kochkünste meiner Mutter. Keiner beherrschte das Kochen wie sie.

    »Was gibt’s zum Abendessen, Mam?« Ich konnte mich auf nichts anderes konzentrieren, bis ich das in Erfahrung gebracht hatte.
    »Nichts Besonderes«, sagte sie gelassen. »Brathähnchen mit einer Füllung aus Mett und Brot, Bratkartoffeln und Karotten-Pastinaken-Püree. Ach, und zum Dessert eine Apfel-Charlotte mit Sahne.« Für jemanden, dessen Kühlschrank so verlassen und leer war wie meiner, klang das wunderbar, und meine Stimmung hellte sich augenblicklich auf.
    »Ich muss das Hähnchen übergießen, Grace.« Meine Mutter eilte in die Küche und schloss die Tür hinter sich. Sie wollte keine Zuschauer, weil sie das angeblich ablenkte. Zudem rötete die Hitze in der Küche ihre Wangen, was sie ebenfalls nicht mochte, war sie doch auf ihre ganz eigene Weise eitel.
    Ich ging ins Wohnzimmer und setzte mich in den Sessel meines Vaters: ein breiter, durchgesessener Armsessel, der in sich zusammengesackt am Kamin stand. Die Armlehnen waren aus massivem Holz, und man konnte mühelos ein Getränk darauf abstellen, zudem noch Zeitung, Aschenbecher und eine Schachtel Zigaretten.
    Ich saß in dem Sessel und bildete mir ein, noch immer die Anwesenheit meines Vaters zu spüren, seinen Geruch nach Holz und Wärme, der einem ein Gefühl von Sicherheit und Geborgenheit gab. Es war das einzige Möbelstück im Haus, das von ihm erzählte, das Stück, um das wir gekämpft hatten, als meine Mutter das Haus in den späten 80er Jahren renovierte. Von hier aus konnte ich ihn spüren, konnte sein scheues Lächeln sehen und sein geräuschloses Lachen hören. Sein Gesicht wurde ganz davon eingenommen, seine Schultern bebten, aber man konnte noch immer eine Nadel fallen hören. Der Sessel war einer meiner Lieblingsplätze auf dieser Welt.

    »Das Essen ist fertig«, rief meine Mutter aus der Küche. »Wasch dir die Hände.« Sie sagte dies in einer Singsangstimme, als wäre ich sechs Jahre alt und sie könnte noch immer auf ihren langen Haaren sitzen. Sie hatte, was Hände anging, einen Sauberkeitsfimmel. »Vorderseite, Rückseite und Finger«, betete sie herunter, während sie uns im Badezimmer beaufsichtigte. Wir standen, einer hinter dem anderen, nach Alter aufgereiht vor dem Waschbecken – Jane, Patrick, ich und Clare. Nach dem Schrubben am Becken mussten wir uns auf den

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