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Tag vor einem Jahr

Titel: Tag vor einem Jahr Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C Geraghty
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Hände, hätte sie aus jeder beliebigen Reihe von Händen herausfinden können.
    »Grace.« (Sagt er.)
    »Bernard.« (Sage ich.)
    Und dann für eine Weile nichts. Und endlich:
    »Wie war …« (Das kam von mir.)
    »Gehst du …« (Das kam von ihm – gleichzeitig.)
    Wir lachten verlegen, wie es Leute tun, die gleichzeitig zu reden anfangen.
    »Du zuerst.« Wir sagten es gleichzeitig. Es begann, lächerlich zu werden, deshalb zeigte ich mit dem Finger auf ihn, um zu signalisieren, dass er zu sprechen anfangen könne.

    »Ich wollte wissen, ob du am Freitag zu diesem Arbeits-Dingsda gehst?« Bernard sagte es schnell, als hätte er Angst, dass ich ihn wieder unterbrechen würde.
    Bat er mich gerade, mit ihm auszugehen? Oder fragte er sich einfach nur, ganz beiläufig, ob ich eventuell vorhatte, am Freitagabend mit der Büro-Gang etwas zu unternehmen? Letzteres, oder? All das überlegte ich mir in etwa eineinhalb Sekunden. Wir befanden uns jetzt im zweiten Stock.
    »Äh, nein, ich kann nicht. Ich habe … etwas vor.« Ich sagte es, während ich aufmerksam die digitale Anzeige über der Tür beobachtete. Erster Stock.
    »Oh«, sagte er. Jetzt war er dran, sich auf die Anzeige zu konzentrieren. Herrgott, was hatte er bloß an sich, dass ich mich danach sehnte, mich hinüberzulehnen und ihn abzulecken, als wäre er ein Schokoeis? Es konnten doch nicht einfach nur seine Hände sein, oder? Es fühlte sich an wie der Frühling nach einem langen Winter.
    »Was wolltest du mich fragen?« Im Aufzug ertönte ein Signal, und die Türen glitten auseinander. Wir waren im Erdgeschoss.
    »Wie war es in Donegal?« Ich verließ den Lift und drehte mich um, um ihn anzusehen.
    »Ach, du weißt schon, Familienkram eben.« Ich nickte. Ich wusste schon. Eigentlich wollte ich ihn nach Cliona fragen. Hatte er sie gesehen? Nackt? Hatte er sie begehrt? Schielte sie, wenn sie ihre Brille abnahm? Die Türen setzten sich erneut in Bewegung, er lächelte mir zu, und dann war er fort.
     
    Caroline war zu Hause, als ich kam. Ich sah auf meine Uhr. Herrje, es war nach sieben. Ich hatte mich so mit Arbeit abgelenkt, dass ich Überstunden gemacht hatte. Und
das, ohne es zu merken. Es fing an, sich meiner Kontrolle zu entziehen.
    »Heute ist mir im Büro etwas Lustiges passiert.« Caroline lag mit dem Rücken flach auf dem Wohnzimmerboden, sie streckte ihre Beine über ihren Körper, sodass die Knie fast ihre Nase berührten, ihre Füße standen hinter ihrem Kopf fest auf dem Boden. Sie sah aus wie ein S in Kursivschrift. Nur für den Fall, dass sich jemand wundern sollte: Sie praktizierte gerade Yoga.
    Ich setzte mich an den Esstisch und rührte mit einem Löffel in einer 5-Minuten-Terrine, die jetzt kalt war. Regentropfen liefen im Zickzack das Erkerfenster hinunter und trübten den Blick in den Garten, einen grünen Dschungel, der stellenweise von leuchtendgelben Inseln unterbrochen war, auf denen Osterglocken gegen den Wind ankämpften.
    »Ich habe heute eine Klientin getroffen«, fuhr Caroline fort, die sich der entsetzlichen Verbiegung ihres Körpers nicht bewusst war. »Sie verklagt den Dubliner Zoo auf Körperverletzung und seelische Grausamkeit. Sie sagt, sie sei im letzten Sommer, während sie ihre Mutter im Rollstuhl durch den Zoo fuhr, von einem Kakadu angegriffen worden. Ich versuchte verkrampft, keine Miene zu verziehen. Grace? Hörst du mir zu?«
    Ich sah auf und nickte, während ich eine besonders lange Nudel in den Mund sog.
    »Ihr Haar war schuld daran. Es sah aus wie ein verdammtes Vogelnest. Ein wild aufgetürmtes Knäuel aus starr abstehenden Haaren. Kein Wunder, dass der Kakadu sie angegriffen hat. Wahrscheinlich hat er gedacht, er käme heim und könne sich darin schlafen legen.« Sie verstummte und sah mich an.
    »Grace, du hast kein einziges Wort gehört, oder?« Caroline entknotete sich und setzte sich auf. Die plötzliche Stille
im Raum und die Last von Carolines prüfendem Blick brachten mich in die Gegenwart zurück. Ich hatte mich in der Vergangenheit verloren und war tief in Patricks Leben eingetaucht.
    »Ist alles in Ordnung mit dir?« Sie neigte ihren Kopf zur Seite.
    »Ja, es geht mir großartig«, log ich. »Ich habe nur viel im Kopf, mit der neuen Stelle und alldem.« Ich erzählte ihr nichts von dem leeren Raum, dem Ausräumen. Sie hätte gesagt, dass das wirklich erfreulich wäre und Mam weitermache.
    »Wie ging es deiner Mutter gestern Abend?« Caroline zog sich in ihr Schlafzimmer zurück und schrie von dort aus

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