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Tag vor einem Jahr

Titel: Tag vor einem Jahr Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C Geraghty
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rote Hautstriemen, wo sich einst Augenbrauen befanden …).
    Ich wandte meine Aufmerksamkeit wieder meinem Posteingang zu. Die nächste Nachricht kam von Laura:
    Hallo, Grace, bin heute Morgen gerade ins Büro zurückgekommen. (Wo bist du übrigens?) Ich lag die vergangenen paar Tage mit einem Mitglied der EDV-Abt. auf meinem »Krankenbett«. Du wirst mich kaum wiedererkennen, wenn du mich siehst. Halte einfach Ausschau nach der ausgelaugten Frau mit dem John-Wayne-Gang und den schwarzen Säcken unter den Augen. Habe in letzter Zeit nicht allzu viel Schlaf abbekommen. Kann es kaum erwarten, dir alles zu erzählen. Aber Grace, das hier ist anders. Ich weiß, wie lahm und herzzerreißend jungmädchenhaft das klingt, aber ich glaube, dass es wahr sein könnte. Ich mache mir jetzt selbst Angst. Muss gehen. Wir sprechen später.
    Apropos, was ist letzten Freitag aus dir und Bernard geworden? Bist du mit ihm ins Bett gegangen? Hat ganz schön nach magischer Anziehungskraft ausgesehen …
     
    Laura
XX
    Mein Gott, was ging hier vor? Zwei Frauen, die ich kannte, in weniger als einer Woche von Männern umgehauen? Und noch dazu so untypische Frauen. Laura und Caroline. Laura, die nach eigener Aussage ihr Herz chirurgisch hatte entfernen lassen, nachdem es im zarten Alter von sechsundzwanzig von einem, dessen Namen nicht genannt wird, in kleine Stück zerschlagen worden war (Kastration sei für diesen Mistkerl noch viel zu gut, sagte sie mir mehr als einmal). Caroline, die eine Seriendaterin war und sich Männern mit einem Minimum an Gefühl und einem Maximum an Gefühlskälte näherte. So wie Männer schon von ihrem bloßen Anblick eingeschüchtert wurden, reichte ihr eisiges Auftreten im Allgemeinen aus, damit sie in langen, traurigen Prozessionen davonhinkten. (Oft hinkten sie aufgrund des Ausmaßes der Erektion in ihren Hosen.) Ich begann Laura eine Antwortmail zu schreiben, hielt aber inne. Wie sollte ich mich zu Bernard äußern? Hatte Laura auch nur den Schimmer einer Ahnung, dass etwas passiert war, würden es bis zum Mittagessen alle Spatzen in der Stadt von den Dächern pfeifen. Sie meinte es nicht böse, aber Tatsache war, dass sie ausgesprochen durchlässig war, wenn es um Klatsch ging. Es strömte nur so aus ihr heraus, wie die Schweißtropfen eines Sumo-Ringers zur Mittagsstunde mitten in der Sahara. Demgegenüber war sie hilflos. Sie durfte von mir nichts über Bernard erfahren, sofern ich nicht wollte, dass es bis zum zweiten Frühstück auf der firmeneigenen Homepage zu lesen war.
    Hallo, Laura, ich bin hier, du Idiotin. Dein Sexmarathon mit Mr Höchstpersönlich muss dein Gehirn ausgeschaltet haben. Allerdings muss ich ehrlicherweise sagen, dass ich heute Morgen ein bisschen spät dran war. Ich freue mich zu hören, dass alles gutging,
obwohl du mir Angst machst. Er ist nur ein Mann, erinnerst du dich? Mit einem Gehirn, das wie ein Henkersstrick zwischen seinen Beinen baumelt – sagst du das nicht immer? Vergiss dein Mantra nicht: Alle Männer sind potenzielle menschliche Wesen.
    Gehe mit Ethan zum Mittagessen. Willst du mit?
     
    Grace
XX
     
    PS. Bernard Wer?
    Sobald ich die Mail abgeschickt hatte, wusste ich, dass es ein Fehler gewesen war, das PS ans Ende zu setzen. Laura würde Bescheid wissen. Ich weiß nicht wie, aber sie würde es dennoch wissen. Die Antwort kam fast augenblicklich.
    Liebe Grace,
    nebenbei gesagt: Meine Sinne stehen auf Alarmstufe Rot. Versuch nicht, mich mit einem »Bernard Wer?« abzuspeisen. Denk dran, mit wem du sprichst …
    Kann nicht zum Essen mitkommen. Geh mit Peter zum »Essen«.
    Mist! Der Zeigefinger meiner linken Hand fand automatisch seinen Weg zum Mund, und ich lutschte am Nagel, bevor mir einfiel, dass ich mich bemühte, sie wegen der Hochzeit alle wachsen zu lassen. Egal, ich konnte mir für den Tag immer noch falsche zulegen. Finger wieder zurück in den Mund.
    Ich sah Bernard auf die Küche zugehen, von einem seiner langgliedrigen Finger baumelte eine leere Kaffeetasse. Ich kauerte mich auf meinem Schreibtischstuhl zusammen
und beobachtete ihn aus dem Augenwinkel heraus. Er besaß diese Art von Unbeholfenheit, die manche großen Menschen haben, die versuchen, sich in eine Welt einzupassen, die ein wenig zu klein für sie ist. Sein Gang wirkte unelegant, und Leuten, die ihm entgegenkamen, wich er mit großem Abstand aus, als hätte er Angst, er könnte sie mit einem seiner langen Arme treffen. Er schaute nicht in meine Richtung; ich atmete auf und lockerte meine

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