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Tag vor einem Jahr

Titel: Tag vor einem Jahr Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C Geraghty
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hast immer
darauf bestanden, dass Dad bei dir bleibt, bis du eingeschlafen bist.
    Es wird jetzt dunkel. Aber hab keine Angst, das heißt, dass es auf der anderen Seite fast Morgen ist.
     
    Alles Liebe,
Patrick
     
    PS. Ja, das Visum läuft Ende März aus, also könnte ich Caroline und dich wahrscheinlich im April in Spanien treffen, vor der Weiterreise nach Portugal. Hast du ein bestimmtes Datum im Sinn? Kommt Shane auch mit?

27
    Als ich zur Wohnung zurückkam, war es später, als ich beabsichtigt hatte. Die Märzsonne tauchte Richtung Horizont ab und hinterließ verschwommene Streifen von mattem Orange, die sich über den Himmel zogen. Clare bat mich, schnell noch etwas mit ihr zu trinken, um dabei die Tischordnung im Detail zu besprechen. Da gab es noch einige offene Fragen. Wie zum Beispiel Onkel Malachy und Tante Joan. Sie lebten zwar zusammen, sprachen aber, soweit wir alle wussten, seit mehr als zehn Jahren nicht mehr miteinander. Sollten wir sie zusammensetzen? Wir entschieden uns schließlich, sie an denselben Tisch, aber nicht Seite an Seite zu setzen, um sie nicht in Verlegenheit zu bringen.
    Dann war da noch Shane. Kam er? Clare fragte mich freiheraus, ohne drum herumzureden. Aus diesem Grund wusste ich, dass sie nervös war.
    Caroline war zu Hause, hatte sich aber im Bad verbarrikadiert, zweifelsohne machte sie sich fertig für ihr zweites Blind Date. Wie sollte man das jetzt nennen? Ein sehendes Date? Egal, es ist klar, was ich sagen will.
    Ich rief ihr im Vorbeieilen eine Begrüßung zu. Es war keine Zeit zum Herumlungern.
    Dicke Schwaden von Dampf quollen aus dem Spalt unter der Tür hervor und lechzten nach meinem Haar, sie bedrohten es mit einem Afrolook à la Three Degrees.
    Shane saß auf der Wohnzimmercouch und hackte mit zwei Fingern auf die Tastatur seines Laptops ein. Sein Gesicht
schreckte von jeglicher Unterhaltung ab, also schlängelte ich mich zur Küche durch und blieb nur kurz stehen, um ihn flüchtig auf seine glatte Stirn zu küssen. Er nickte, das Tap-Tap-Tap seiner Finger wurde keine Sekunde langsamer. Ich ging mit einer Flasche Wasser hinunter in den ungepflegten Garten, der auf der Rückseite der Wohnung lag. Mr Jenkins spazierte zwischen dem Pampasgras herum, das verstreut im hinteren Teil des Gartens wuchs. Nachdem ich mir eine Zigarette angezündet hatte, machte ich mich auf den Weg zu ihm. Heute Abend ging er gebeugter als üblich. Es schien ihm Mühe zu bereiten, den Kopf zu heben.
    »Ah, Grace, sind Sie’s?«
    »So ist es, Mr Jenkins. Werden jetzt die Abende nicht schon merklich länger?« Ich gab halb im Gedächtnis gebliebene Phrasen meiner Großmutter (väterlicherseits) wieder.
    »Mir ist aufgefallen, dass Ihr junger Mann wieder zurück ist.« Während er sprach, rieb sich Mr Jenkins mit dem Handrücken die Nase.
    »Ja, allerdings nur übers Wochenende.« Mr Jenkins sah in jedem Menschen nur das Gute, es bestand also nicht die Notwendigkeit, Shane und unsere Beziehung in einem freundlichen Licht zu zeichnen.
    »Nun, wenn es Sie glücklich macht, Gracie, das ist das Wichtigste.« Wegen eines heftigen, quälenden Hustenanfalls, der einige Sekunden dauerte, konnte er nicht weitersprechen.
    »Großartig, Gracie-Mädchen, es geht mir wieder gut.« Mr Jenkins trat einen Schritt zurück und entzog sich meiner Hand, mit der ich ihm den Rücken klopfte.
    »Oh Gott, entschuldigen Sie. Habe ich Ihnen wehgetan?« In der Dämmerung, da Schatten die Falten unter seinen Augen und unter seinem Kinn verbargen, sah ich
für einen Augenblick, wie er vor Jahren ausgesehen haben musste: ziemlich schneidig. Er richtete sich auf.
    »Dann ein glückliches Wochenende.« Ein glückliches Wochenende? Als Redensart klang das seltsam. Er schlurfte davon, sah nur einmal zurück, um zu nicken, als hätte ich ihm nicht zugestimmt. Er verschwand in der Dunkelheit. Die Spitze meiner Zigarette glühte in der Abenddämmerung feuerrot, ich schnippte sie halb geraucht weg und ging zurück ins Haus.
    »Mein Gott, du stinkst.« Shane verzog die Nase und wendete sich von mir ab, als ich mich zu ihm beugte, um seinen Hals zu küssen.
    »Entschuldige, ich putze mir die Zähne.« Ich zog mich zurück und verfluchte meine Unachtsamkeit. Es war lange her, dass ich mich daran hatte erinnern müssen, meine Zähne zu putzen und meine Hände zu waschen, nachdem ich eine Zigarette geraucht hatte. Ich ging hinaus, Shane fuchtelte theatralisch in der Luft herum und hustete ein paar Mal gekünstelt. Ich widerstand dem

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