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Tage der Freuden

Tage der Freuden

Titel: Tage der Freuden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marcel Proust
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habe. Sie umarmte Violante sehr aufgeregt, nahm sie um die Taille und begann sie so stürmisch zu küssen, daß Violante, ohne Adieu zu sagen, sich in vollem Laufe retten mußte. Am nächsten Abend begab sich Violante zu einem Fest, das der Herzogin von Misène zu Ehren gegeben wurde. Dort erkannte sie in der Herzogin die furchtbare Dame vom Tage vorher. Eine vornehme alte Dame, die bis dahin hoch in Violantes Achtung gestanden hatte, fragte sie: »Wollen Sie, daß ich Sie der Herzogin von Misène vorstelle?«
    »Nein«, sagte Violante.
    »Wozu die Angst«, sagte die alte Witwe, »ich bin überzeugt, daß Sie ihr gefallen werden. Sie liebt junge Frauen ganz außerordentlich.«
    Als Violante schied, hatte sie zwei tödliche Feindinnen mehr, die Fürstin und die alte Witwe, die sie überall als ein Ungeheuer voll Überheblichkeit und Verderbtheit hinstellten. Violante begriff den Zusammenhang, weinte über sich und über die Bosheit der Frauen. Was die Männer betrifft, war sie über sie schon lange im klaren. Von nun an konnte man sie jeden Abend zu ihrem Mann sagen hören: »Wir wollen übermorgen nach meinem alten Steyer abreisen und es nicht mehr verlassen.«
    Dann erlebte sie ein Fest, das sie mehr freute als die früheren; sie bekam eine Toilette, in der sie schöner aussah als je zuvor. Es gibt aber ein tiefes Bedürfnis, in der freien Phantasie zu leben, in seiner eigenen Schöpfung sich auszugeben, allein und kraft des Gedankens sein Leben sich zu zimmern. Dies Bedürfnis wurde nicht befriedigt, sie konnte sich ihm nicht widmen, nicht ergeben, und doch war und blieb dies für sie das Hindernis, in der großen Welt auch nur den Schatten einer wahren Freude zu finden. Aber dieses Bedürfnis war noch keine lebenswichtige Notwendigkeit, deshalb war es nicht stark genug, ihr Leben von Grund aus zu wandeln, noch auch brachte es sie zum radikalen, endgültigen Verzicht auf das weltliche Leben, es führte sie nicht ihrer eigentlichen Bestimmung und ihrem Sinne entgegen. So zeigte sie auch weiterhin das luxuriöse und doch verzweifelte Dasein einer Natur, die, für das Unendliche bestimmt, sich nach und nach im Geringeren, ja im Nichtigen verzehrt. Nichts zeugte nun mehr von ihrer edlen Bestimmung, die ihr täglich ferner entglitt, als nur der Schatten einer tiefen Melancholie.
    Ein großes Seelenerlebnis der reinen Nächstenliebe hätte ihr Herz wie eine Flut geläutert, hätte die allzu menschlichen Härten gemildert, die ein weltlich gesinntes Herz versteinern, aber diese Flut wurde durch die tausend Dämme des Egoismus, der Koketterie, des Ehrgeizes ferngehalten. Die Güte gefiel ihr nur als Mode, als Eleganz. Sie wehrte sich nicht gegen gute Taten in Form von Geld, sie ließ sich ihre Nächstenliebe sogar Zeit und Mühe kosten, aber ein Teil ihres Selbst war abgeschlossen, denn er gehörte ihr nicht mehr an. Noch las oder träumte sie morgens in ihrem Bette, aber schon war ihr geistiges Leben verfälscht, denn es haftete nur an der Außenseite der Dinge, und wenn sie sich selbst ansah, geschah es nicht, um tiefer zu werden, sondern um sich sinnlich zu bewundern, mit sich wie vor einem Spiegel zu kokettieren. Und hatte man ihr einen Besuch angekündigt, so fand sie nicht die Willensstärke, um ihrer Träumerei oder ihrem Buche zuliebe ihn abzuweisen. Sie war so weit gekommen, daß sie die Natur nur noch mit verderbten Sinnen genießen konnte, der Zauber der Jahreszeiten war nur noch dazu da, um ihre Eleganz abzustimmen, um sie raffinierter zu durchduften. Der Zauber des Winters lag in der Lust wollüstigen Fröstelns, die Fröhlichkeit der Jagd verdeckte ihren Augen alle Schwermut des Herbstes. Manchmal ging sie allein in den Wald, um die echte Quelle wahrer Freuden wiederzufinden. Aber es waren nur elegante Toiletten, die sie unter dem schattigen Blätterdach spazieren führte. Die Freude an der Eleganz vergiftete die Freude an der Einsamkeit und an dem Träumen.
    »Wollen wir morgen abreisen?« fragte der Herzog.
    »Übermorgen«, sagte Violante.
    Dann hörte der Herzog auf zu fragen. Augustin beklagte sich, Violante schrieb ihm: »Laß mich erst ein wenig älter werden, dann komme ich zurück.«
    »Ah«, antwortete Augustin, »was Sie den Menschen hier geben, ist Ihre Jugend. Sie werden nie in Ihr Steyer zurückkommen.«
    Sie kam nie zurück. Solange sie jung war, blieb sie in der großen Welt, um die Herrschaft der Eleganz zu üben, deren Königin sie in so jungen Jahren geworden war. Als sie alterte, blieb

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