Tage der Freuden
des Typus ist absurd, niederschmetternd, unangreifbar; und doch kann sich unaufhörlich jeder persönlich von ihm entfernen, ohne dessen heitere Festigkeit im geringsten zu stören, dafür aber zwingt dieser Typus mit einer immer wachsenden Anziehungskraft alle Personen ohne Persönlichkeit zu sich heran, alle, deren Haltung zuwenig inneren Zusammenhang besitzt: Schließlich unterliegt der einzelne der Faszination dieses Brennpunkts, der sich mitten im Wandel der Dinge gleichbleibt. Wenn Girolamo einem Freunde »Wahrheiten« sagt, so ist er jenem dankbar dafür, daß er ihm das Stichwort gegeben hat und ihm das Spiel ermöglicht, er »züchtigt ihn, weil er ihn liebt«, und spielt dabei eine ehrenhafte, fast kann man sagen, prachtvolle Rolle, und er ist sogar nicht mehr weit davon entfernt, echt zu sein. Zu der Grausamkeit seiner Sprüche fügt er einen Tropfen duldsamen Mitgefühls, der sehr natürlich ist gegenüber einem Tieferstehenden, der die Folie für seinen Ruhm bildet. Da darf jener ihm aufrichtig dankbar sein, und schließlich hat er die Herzensgüte, die ihm die Gesellschaft bisher bloß angedichtet hatte, wirklich erworben. Bei Fortunata hat ihre wachsende Beleibtheit, ohne ihren Geist zu mindern und ohne ihre Schönheit zu zerstören, ein wenig das Interesse an den andern verringert, und zwar in dem Maße, als die Sphäre ihrer eigenen Persönlichkeit zugenommen hat, und jetzt fühlt sie eine Milderung ihrer Bitterkeit, und damit fällt das einzige Hindernis für sie, würdig die verehrungswürdigen, bezaubernden Pflichten zu erfüllen, welche die Gesellschaft ihr übertragen hat. Der Geist der Worte »Wohlwollen«, »Güte«, »Rundung«, die man unaufhörlich vor ihr und hinter ihr ausgesprochen hat, mußten allmählich ihre Sprache durchtränken, die nun von Lobesworten überquillt und der auch der weite Leibesumfang eine besondere Autorität gewährleistet, die doppelt schmeichelhaft ist. Sie hat das unbewußte, aber starke Gefühl, als übe sie eine wichtige, friedliche Beamtentätigkeit. Manchmal scheint sie über die Grenzen ihrer Persönlichkeit zu treten, sie kommt daher wie eine ganze Ratsversammlung, mit hochgehenden Wogen, aber weichherzig, da gibt es wohlwollende Richter, deren Vorsitz sie führt, die allgemeine Zustimmung berührt sie tief … Es kommt vor, daß man in Abendgesellschaften plaudert, keiner stößt sich an den Widersprüchen im Benehmen der Masken, noch auch bemerkt jemand ihre langsame Assimilation an den vorgeschriebenen Charakter; jedermann ordnet ihre Handlungen in das Fach im Schreibtische, in die genaue Definition des idealen Charakterbildes; jeder stellt mit Ergriffenheit und Genugtuung fest, daß sich das Niveau der Unterhaltung unzweifelhaft hebt. Allerdings unterbricht man diese Arbeit bald, um nicht den hierzu nicht genügend geschulten Köpfen zuviel ermüdende Arbeit zuzumuten (denn man ist Mensch der Gesellschaft). Man hat den Snobismus des einen getadelt, die Böswilligkeit der andern, die lockere Lebensführung, die Härte eines dritten, nun trennt man sich, jeder hat reichlich seinen Tribut an das Wohlwollen, die Nächstenliebe, das Schamgefühl entrichtet, nun kann sich jedermann ohne Gewissensbisse in der Ruhe seines Herzens, das sich eben herrlich bewährt hat, den eleganten Lastern hingeben, die dessen Krone bilden.
Diese Reflexionen wurden angeregt durch die Gesellschaft von Bergamo; auf eine andere Gesellschaft angewendet, verlieren sie einen Teil ihrer Wahrheit. Als Arlekin die Bergamesker Szene verließ, um die französische zu betreten, wurde aus dem Tölpel ein feiner Kopf. So erklärt es sich, daß Liduvina in gewissen Gesellschaften als Frau von Bedeutung gilt und Girolamo als bedeutende Intelligenz. Man muß hinzufügen, daß sich manchmal ein Mensch zeigt, für den die Gesellschaft entweder überhaupt keinen ›Charakter‹ findet oder doch keinen disponiblen, da den seinen ein anderer innehat. Sie verleiht ihm dann einen, der ihm durchaus nicht zu Gesicht steht. Ist er nun wirklich ein origineller Mensch und paßt kein fertig gekaufter Charakter auf seine Schultern und kann man ihn auf keine Weise verstehen und gibt es keinen nach Maß gearbeiteten ›Charakter‹ für ihn, schließt man ihn eben aus – oder läßt ihn den jugendlichen Liebhaber spielen, denn an denen herrscht stets Mangel.
Weltlichkeit und Melomanie
Von Bouvard und Pécuchet
I
Natürlich sind die Ansichten, die der Autor hier den berühmten Figuren Flauberts in den Mund
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