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Tage der Freuden

Tage der Freuden

Titel: Tage der Freuden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marcel Proust
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es nicht besonders schwer sein, seine Gedanken klar auszudrücken. Aber die Klarheit genügt nicht, man bedarf der Anmut (mit Kraft gepaart), der Lebhaftigkeit, des Aufschwungs, der Logik.« Bouvard fügte noch die Ironie hinzu. Nach Pécuchet war sie nicht unentbehrlich, sie ermüde oft und lenke den Leser zu seinem Nachteil ab. Kurzum, alle Welt schreibt schlecht. Verantwortlich dafür war, nach Bouvard, das übertriebene Haschen nach Originalität, nach Pécuchet der Verfall der Sitten.
    »Wir müssen den Mut haben, unsere Schlüsse der Welt zu verheimlichen«, sagte Bouvard, »wir würden als Lästermäuler gelten, würden jedermann erschrecken, niemandem gefallen. Wir wollen doch statt Unruhe lieber Trost bringen. Unsere Originalität wird uns ohnehin genug schaden. Also heißt es, sie verbergen. Man kann über andere Dinge reden als über Literatur.«
    Infolgedessen sind wichtige Dinge an der Tagesordnung.
    »Wie soll man grüßen? Mit dem ganzen Körper oder bloß mit dem Kopf? Schnell oder langsam – so wie man dasteht oder indem man die Hacken zusammenschlägt – indem man sich nähert oder indem man am Platze bleibt – indem man den unteren Teil des Rückens zurückzieht oder indem man ihn zum Angelpunkt macht?? Sollen die Hände am Körper herabfallen, sollen sie den Hut halten, sollen sie Handschuhe tragen? Soll das Gesicht ernst bleiben oder lächeln während des Grußes? Aber wie nach dem beendeten Gruße seinen Ernst, seine Würde sofort wiedergewinnen?
    Auch das Vorstellen ist eine Kunst.
    Bei welchem Namen soll man beginnen? Soll man mit der Hand auf die vorzustellende Person hinweisen oder sich ruhig verhalten mit gleichgültiger Miene? Soll man auf dieselbe Art einen jungen Menschen und einen alten grüßen, einen Schlosser und einen Prinzen, einen Schauspieler und einen Akademiker? Das »Ja« tat den Gleichheitsgedanken Pécuchets wohl, beleidigte aber den gesunden Menschenverstand Bouvards.
    Wie jedem seinen Titel und Rang geben?
    Man sagt einem Baron: »Mein Herr«, ebenso einem Freiherrn, einem Grafen. Aber »Guten Tag, mein Herr Marquis« schien ihnen banal, »Guten Tag, Marquis« aber zu frei, in Anbetracht ihres Alters. Sie beschlossen schließlich zu sagen: »Fürst« und »Euer Durchlaucht«, obgleich der letztere Sprachgebrauch ihnen aufreizend erschien. Als sie an die Hoheiten kamen, gerieten sie in Verwirrung. Bouvard, geschmeichelt von seinen künftigen Beziehungen, erfand tausend Redensarten, in denen diese Anrede unter allen Formen wiederkam, er begleitete sie mit einem zarten lächelnden Erröten, beugte ein wenig sein Haupt und wiegte sich in den Hüften. Aber Pécuchet erklärte, er würde sich hier immer verlieren, würde sich verwickeln oder dem Fürsten ins Gesicht lachen und herausplatzen. Kurz, aus Scheu vor solchen Zwischenfällen verzichteten sie auf den Besuch in den Häusern des Faubourg Saint-Germain. Aber dieser kommt überall hin, nur von außen scheint er eine feste, abgeschlossene Burg … Übrigens streut man den Titeln in der Hochfinanz noch mehr Weihrauch, und was die Adelsprädikate der Hochstapler betrifft, sind sie nicht zu zählen. Indessen hat man sich nach Pécuchet streng gegen die schwindelhaften Adelsnamen zu betragen und muß Gewicht darauf legen, ihnen das von auch nicht auf den Adressen der Briefe zu geben oder dann, wenn man mit ihren Dienstboten spricht. Bouvard aber war noch skeptischer, er sah darin nicht mehr als nur eine neue Manie, die genauso achtenswert war wie die der alten Geschlechter. Übrigens existierte nach ihrer Ansicht der Adel nicht mehr, seit er seine Privilegien verloren hatte. Der Adel ist klerikal, reaktionär, liest kein Buch, amüsiert sich genau wie die Bourgeoisie. Sie fanden es absurd, dergleichen hoch zu achten. Man konnte mit dem Adel verkehren, da der Verkehr nicht die Verachtung ausschloß. Bouvard erklärte: Wenn sie wissen wollten, welche Gesellschaften man besuchen, in welche Vorstadt man einmal im Jahre schlendern wolle, wie sich ihre Gewohnheiten, ihre Laster gestalten würden, dann müsse man vorerst einen genauen Plan der Pariser Gesellschaft entwerfen. Diese begriff in sich nach seiner Ansicht den Faubourg Saint-Germain, die Finanz, die Hochstapler, die protestantische Gesellschaft, die Theater- und Künstlerkreise und die offizielle und wissenschaftliche Welt. Nach den Begriffen von Pécuchet verbarg der Faubourg hinter einer strengen Außenseite noch das lockere Leben des ancien régime. Jeder Adelige hat

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