Tage der Freuden
Sie es denen, die nur leibliche Augen haben, mit ihrem ganzen Gefolge zu übersiedeln und sich nach Pozzuoli oder Neapel zu begeben. Sie wollen, wie Sie sagen, dort ein Buch vollenden? Wo arbeitet es sich aber besser als daheim? Zwischen den Mauern von Paris können Sie die herrlichsten Bauten errichten nach den Wünschen Ihres Herzens, hier können Sie leichter als in Pozzuoli den Einladungen der Prinzessin von Bergamo entgehen, und die Versuchung, ohne Arbeit herumzuflanieren, ist hier nicht so gefährlich. Weshalb sich darauf versteifen, nur die Gegenwart zu genießen und darüber zu weinen, daß es nie gelingt? Mensch der Phantasie, du kannst nur genießen im Verzicht oder in der Erwartung, das heißt: in der Vergangenheit und in der Zukunft.
Das ist der Grund Deiner Unzufriedenheit, Olivian, mit Deiner Geliebten, mit Deinen Landhäusern, mit Dir selbst. Vielleicht hast Du die Wurzel dieser Übel bereits entdeckt. Aber warum sich daran genügen lassen, statt die Heilung zu versuchen? Es liegt daran, daß Sie sehr bemitleidenswert sind. Noch sind Sie kein Mensch, und schon sind Sie ein Mensch der Literatur.
XV
Masken und Gestalten der mondänen Komödie
Immer ist in den Komödien Scaramouche ein Prahlhans, Harlekin stets ein Tölpel, das Benehmen des Pasquino ist reine Intrige, das des Pantalon Habsucht und Leichtgläubigkeit –ebenso hat die Gesellschaft dekretiert, daß Guido geistreich aber perfid ist, daß er für einen guten Witz seinen besten Freund opfert –daß Girolamo unter der Außenseite einer rohen Freimütigkeit Schätze des Herzens verborgen hat –daß Castruccio, dessen Laster man brandmarken kann, dennoch der rührendste Freund in seiner Treue ist und daß er als Sohn die zarteste Hand beweist –daß Jago trotz zehn schöner Bücher als Dilettant anzusehen ist, während ein paar schlechte Zeitungsartikel Ercole zum Dichter stempeln –daß Cesare irgendwelche Verbindungen mit der Polizei haben muß, als Reporter oder Spion; Cardenio ist ein Snob, Pippo ein falscher Biedermann, trotz seiner freundschaftlichsten Versicherungen. Was Fortunata anlangt, so ist’s auf ewig beschlossene Sache, man ist sich einig: sie ist gut. Sie ist so rund, das ist die Garantie für ihr wohlmeinendes weiches Herz: Wie könnte denn auch eine so üppige Dame eine Kanaille sein?
Nun ist jeder schon von Natur anders als der Charakter, den die Gesellschaft aus ihrem Hauptmagazin von Kostümen und Eigentümlichkeiten hervorgesucht und ihm ein für allemal geborgt hat, und von hier entfernt sich jeder um so mehr, als die Charakterisierung früher da war als der wirkliche Charakter, und auf diese Weise wird ihm ein weites Feld gerade entgegengesetzter Fehler geöffnet, und zu seinem Vorteil genießt er jetzt eine Art Straffreiheit. So steht der Charakter Castruccios als »treuer Freund« unerschütterlich fest, dies erlaubt ihm, jeden seiner Freunde einzeln zu belügen und zu betrügen. Wer darunter doppelt leiden muß, ist aber der andere: »Was für ein Schuft muß dieser sein, wenn auch Castruccio, der Treueste der Treuen, ihn verläßt!« Fortunata darf in langen Strömen böse Nachrede verbreiten. Wer sollte verrückt genug sein, die Quelle unter dem Busenhalter ihrer Brust zu suchen, deren weite Fülle schützend alles verbirgt? Girolamo darf ohne Furcht eine Schmeichelei wagen, welcher seine sonst geübte Freimütigkeit den Zauber des Unvorhergesehenen verleiht. Er darf einem Freunde gegenüber seine Rauheit bis zur Brutalität treiben, denn man ist sich darin einig, daß es nur im Interesse des Freundes liegt, daß dieser vergewaltigt werde. Cesare erkundigt sich nach meiner Gesundheit, es geschieht, weil er’s dem Dogen rapportieren will. Er hat mich gar nicht darum gebeten. Wie fein versteht er sein Spiel zu verbergen! Guido nähert sich mir, er macht mir Komplimente über mein gutes Aussehen. »Niemand hat so viel Geist wie er«, schreien sie alle im Chor, »aber er ist ein richtiger Teufel!« Zwischen den wahren Charakteren dieser Castruccio, Guido, Cardenio, Ercole, Pippo, Cesare und Fortunata und dem Typus, den sie unwiderruflich in den Augen der scharfsichtigen Gesellschaft verkörpern, ist eine tiefe Kluft, aber diese Kluft ist für Träger dieser Masken gefahrlos, denn die Gesellschaft will sie nicht sehen. Aber wie streng ist sie in ihrer Abgrenzung! Girolamo mag tun, was er will, er ist ein böswilliger Grobian. Fortunata mag sagen, was sie will, sie ist eine gute Seele. Die Widerstandsfähigkeit
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