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Tage der Freuden

Tage der Freuden

Titel: Tage der Freuden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marcel Proust
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machen mir eine Freude. Nochmals Dank, mein Herr. Mit der Versicherung meiner freundschaftlichen Gesinnung
    Voragynes Breyves.«
    Eine Stunde später brachte ihr ein Diener folgenden Brief:
    »Beunruhigen Sie sich nicht, gnädige Frau, Herr von Laléande hat nicht gewußt, daß Sie ihn hören wollten. Ich habe ihn dieser Tage gefragt, ob er zu mir kommen könnte, um zu spielen, habe ihm aber nicht gesagt, auf wen diese Bitte zurückging. Er hat mir aus Biarritz geantwortet, er käme nicht vor Januar wieder. Danken Sie mir bitte nicht. Ich kenne keine größere Freude als die, Ihnen eine zu bereiten, usw.
    Grumello.«
    Es war nichts mehr zu machen. Sie tat auch nichts weiter, verdüsterte sich nur mehr und mehr. Dann litt sie unter Gewissensbissen, weil sie sich selbst und ihrer Mutter so grundlos das Leben schwermachte. Sie wollte einige Tage auf ihrem Gute bleiben und reiste dann nach Trouville ab. Hier hörte sie viel von den eleganten Ambitionen des Herrn von Laléande reden, und als ein Fürst sie ganz harmlos fragte: »Was könnte ich tun, um Ihnen eine Freude zu machen?« da wurde sie beinahe fröhlich, indem sie sich seine Verblüffung vorstellte, wenn sie ihm aufrichtig hätte antworten wollen. Sie sammelte die ganze sinnverwirrende Bitterkeit, um sie besser auszukosten, die Bitterkeit, die in der Ironie dieses Gegensatzes enthalten war: auf der einen Seite all die großen, schweren Anstrengungen, die man stets gemacht hatte, um ihr zu gefallen, und auf der andern Seite diese kinderleichte und dabei doch unmögliche Kleinigkeit, die ihr die Ruhe, ihr Glück und das Glück der Ihrigen hätte wiedergeben können. Wenn sie sich einmal ein wenig wohl fühlte, so war es nur im Kreise ihrer Dienstboten, die ihr eine unbegrenzte Ehrerbietung entgegenbrachten, die ihr dienten, ohne eine Bemerkung zu wagen, denn sie fühlten, wie traurig sie war. Ihr verehrendes und kummervolles Schweigen sprach ihr von Herrn von Laléande, sie hörte es mit Wollust, sie ließ sehr langsam das Déjeuner auftragen, um den Augenblick hinauszuzögern, da ihre Freundinnen kamen und sie sich unter ihnen bewegen mußte, denn sie wollte möglichst lange auf ihrer Zunge den Geschmack der bittersüßen Traurigkeit ihrer Umgebung behalten, deren Ursache er war. Es wäre ihr lieb gewesen, noch andere Wesen von ihm beherrscht zu wissen, es hätte sie erleichtert, zu fühlen, wie das, was ihr Herz ganz ausfüllte, auch ein wenig Raum außerhalb dieses Herzens faßte. Warum hatte sie nicht kraftvolle Naturen zu ihren Füßen, die an demselben Übel wie sie selbst dahinsiechten? In manchen Augenblicken der letzten Verzweiflung wollte sie ihm schreiben oder ihm schreiben lassen, sich entwürdigen, »es ging ihr nichts darüber«, und doch war es besser, besser gerade im Interesse ihrer Liebe, ihre stolze Stellung in der großen Welt zu wahren, denn diese Stellung konnte ihr eines Tages Autorität über ihn verschaffen, wenn dieser Tag überhaupt kam. Und wenn eine kurze Intimität mit ihm den Zauber zerriß, den er über sie geübt hatte – – (sie wollte und konnte es nicht glauben noch auch es sich in der Phantasie einen Augenblick lang vorstellen; aber ihre nur zu scharfsichtige Klugheit nahm diese grausame Schicksalsfügung wahr, trotz aller Verdunkelungsversuche ihres Herzens) – dann mußte sie ohne den geringsten Halt auf Erden zurückbleiben – nachher. Und selbst, wenn einmal eine andere Liebe noch auf diesem Boden wuchs, sollte sie dann auch die letzte Hilfsquelle verloren haben, die ihr wenigstens noch heute zur Verfügung stand, die gesellschaftliche Macht, die ihr bei einer Rückkehr nach Paris ein vertrautes Zusammensein mit Herrn von Laléande leicht ermöglichen konnte? Sie versuchte, ihre eigenen Empfindungen von sich zu scheiden und sie anzusehen wie einen fremden Gegenstand, den man prüft, und sagte zu sich: »Ich weiß, daß er mittelmäßig ist, und wußte es immer. Das ist mein Urteil über ihn, und es gibt keine andere Möglichkeit. Wohl ist seitdem alles ins Kreisen geraten, aber nichts kann dieses Urteil trüben, Mag es wenig sein, so ist es doch nur dies Wenige, wofür ich lebe. Ich lebe für Jacques de Laléande.« Kaum hatte sie seinen Namen ausgesprochen, als sie, durch eine diesmal unbewußte Gedankenverbindung und ohne Analyse, ihn vor sich sah, und in ihrem Innern empfand sie so viel Glück und so viel Leid, daß ihr bewußt wurde, daß die Kleinheit seiner Persönlichkeit kaum etwas ausmachte. Denn er war es, der

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