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Tage der Freuden

Tage der Freuden

Titel: Tage der Freuden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marcel Proust
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gehört zu haben, der als Ihr guter Freund gilt. Möchten Sie ihn dahin bringen, daß er einmal für sie und für mich spielt? Jetzt, da man sich freier bewegt, macht ihm das sicher nicht viel Mühe. Es wäre wirklich reizend von Ihnen. In herzlichstem Gedenken
    Ihre Alériouvre Buivres.«
    »Tragen Sie diesen Brief sofort zu Herrn von Grumello«, sagte Françoise zu einem Diener, »warten Sie nicht auf Antwort, aber sehen Sie zu, daß er vor Ihren Augen übergeben wird.«
    Am nächsten Tag ließ Geneviève Frau de Breyves folgende Antwort des Herrn von Grumello bringen:
»Sehr verehrte gnädige Frau,
    es hätte mir mehr Vergnügen, als Sie sich denken können, bereitet, Ihnen und Frau von Breyves, die ich ein wenig kenne und für die ich die lebhafteste und ergebenste Sympathie empfinde, einen Wunsch zu erfüllen. Nun bin ich ganz verzweifelt, daß ein unglücklicher Zufall Herrn de Laleande gerade vor zwei Tagen nach Biarritz verreisen ließ, wo er, leider, auch mehrere Monate verbringen wird.
    Nehmen Sie, gnädige Frau, usw. usw.
Grumello«
    Françoise stürzte sich tief erblaßt zur Tür, um sie zu versperren, und es war höchste Zeit. Schon brach sich hemmungsloses Schluchzen wie eine Woge an ihren Lippen, und die Tränen flossen. Bis dahin hatte sie sich ganz ihrer Phantasie hingegeben, um sich einen Roman des Wiedersehens und Sichkennenlernens zu erfinden, sie hatte so fest darauf gebaut, diesen Roman zu verwirklichen, sobald sie nur wollte. Sie hatte ihr ganzes Leben aus dieser Begierde und aus dieser Hoffnung gesogen, vielleicht ohne sich Rechenschaft darüber zu geben; aber durch tausend unbeschreiblich feine Würzelchen, die bis in ihre unbewußten Augenblicke Glück oder Melancholie geträufelt hatten, war neuer Saft in ihre Adern gedrungen. Noch wußte sie nicht, woher diese Begierde kam; aber schon hatte sie feste Wurzel in ihr gefaßt. War es denn jetzt möglich, sie herauszureißen und alles wieder in den Abgrund des Unmöglichen zurückzuschleudern? Sie fühlte sich zerrissen und zerpflückt. Alles in ihr machte sie schrecklich leiden, alles war mit einem Male entwurzelt. Im hellsten Licht stand ihre Hoffnung plötzlich da als eitel Trug. Und an der Tiefe ihres Kummers erkannte sie die Wirklichkeit ihrer Liebe.
IV
    Françoise zog sich mit jedem Tag mehr und mehr von allen Freuden des Lebens zurück. Sie konnte auch den stärksten Freuden, die sie sonst im innigen Verein mit ihrer Mutter oder mit Geneviève ausgekostet hatte, den Entzückungen ihrer musikalischen Stunden, ihrer Spaziergänge, ihrer Lektüre nur noch ein Herz darbieten, das von eifersüchtigem Kummer erfüllt war und nie mehr frei wurde. Unermeßliches Leid kam ihr aus der Unmöglichkeit, nach Biarritz zu gehen; aber wäre das auch möglich gewesen, so war sie doch felsenfest entschlossen, es nicht zu tun und sich nicht durch einen unsinnigen Schritt das ganze Prestige zu nehmen, das sie sonst in den Augen des Herrn von Laléande haben konnte. Sie war ein armes kleines Opfer der Qual, ohne daß sie wußte warum. Sie schauerte bei dem Gedanken, dieses Übel könne vielleicht noch Monate dauern, bevor das Heilmittel kam – und bis dahin keine Stunde ruhigen Schlafes und freier, aufgelöster Träumerei. Es beunruhigte sie, nicht zu wissen, ob er nicht doch früher nach Paris zurückkehrte, ohne daß sie es erfuhr. Die, Furcht, ein zweites Mal das Glück aus so großer Nähe zu verpassen, machte sie tollkühn; sie sandte einen Diener zum Concierge des Herrn von Laléande, um sich zu erkundigen. Er wußte nichts. Nun begriff sie, es sollte noch lange kein Hoffnungssegel auf dem glatten Horizont dieses kummervollen Meeres erscheinen, das Meer sollte sich ins Unbegrenzte erweitern (und nach diesem grenzenlosen Horizont schien ihr die Welt völlig zu Ende zu sein); aber sie fühlte dann nur noch heißer die Lust in sich zu tollen Unternehmungen. Sie wußte selbst nicht, zu welchen, vielleicht, ihm zu schreiben? Sie wurde ihr eigener Arzt und gestattete sich zur Beruhigung den Versuch, ihn wissen zu lassen, daß sie ihn hatte sehen wollen. Sie schrieb folgendes an Grumello:
»Sehr verehrter Herr,
    Madame de Buivres macht mir Mitteilung von Ihrem freundlichen Gedenken. Ich bin ganz gerührt und dankbar! Nur ein Umstand macht mich unruhig: ob mich Herr von Laléande nicht indiskret gefunden hat? Wenn Sie es nicht wissen, fragen Sie ihn danach und antworten Sie mir, sobald Sie es wissen, ganz aufrichtig. Ich bin sehr gespannt darauf, und Sie

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