Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Tage des letzten Schnees: Ein Kimmo-Joentaa-Roman (German Edition)

Tage des letzten Schnees: Ein Kimmo-Joentaa-Roman (German Edition)

Titel: Tage des letzten Schnees: Ein Kimmo-Joentaa-Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jan Costin Wagner
Vom Netzwerk:
zuvor Réka beim Schlafen zugesehen hatte, bevor er die weiße Wohnung verlassen hatte und nach Hause gefahren war.
    Mitte April erkrankte Rékas Mutter. Es dauerte eine Weile, bis Sedin aus ihren hektischen Erklärungen den Schluss ziehen konnte, dass sie einen Infarkt oder einen Hirnschlag gehabt hatte. Sie lag in einem kleinen, provisorischen Krankenhaus und musste für die erforderliche Operation in eine größere Stadt gebracht werden. Allein der Transport war nahezu unbezahlbar, Rékas Mutter besaß keine Krankenversicherung.
    Sedin ging mit Réka in die Stadt und bemühte sich, sie zu beruhigen, während er im Geiste eine finanzielle Kalkulation aufzustellen versuchte, die alle Faktoren in Betracht zog. Er schickte Geld nach Krisztina. Am Abend saß er in der Stille und betrachtete die Fähren hinter den Fenstern, aufwendig beleuchtete Kolosse im dunklen Wasser, während Réka weinend mit ihren Geschwistern telefonierte.
    Die erste Operation verlief gut, aber nach etwa einer Woche stellten sich Komplikationen ein. Die Ärzte empfahlen einen zweiten Eingriff und einen anderen Operateur, der aus Cluj anreisen sollte. Réka zögerte, aber Sedin bestand darauf, dem Ratschlag der Ärzte zu folgen, und sicherte zu, die anfallenden Kosten zu decken.
    Ende April rief Réka nachmittags an, als er gerade mit zwei Japanern auf der Dachterrasse stand. Die Japaner lachten, über einen Witz oder über die eisige Kälte oder über den möglicherweise anregenden Gedanken, sich kopfüber in die Tiefe zu stürzen, und Réka sagte, dass ihre Mutter angerufen hatte. Es ging ihr besser.
    »Viel besser«, sagte sie, und später dachte er häufig über die Erleichterung nach, die in Rékas Stimme gelegen hatte, während sie diese Worte ausgesprochen hatte.
    »Das freut mich«, sagte er. »Das freut mich sehr.«
    »Sie sagt … sie möchte dir Danke sagen … danke, danke, danke … und dass du der schönste Mann bist, den sie gesehen hat.«
    »Oh …«, sagte er.
    »Nein, falsch. Der … wie sagt man denn … der gute … der beste.«
    »Ach so.«
    »Ja. Der beste Mann.«
    »Der schönste wäre doch völlig ausreichend gewesen«, sagte Sedin.
    Réka lachte, und Sedin begann, nachdem er die Japaner mit einem freundlichen Lächeln verabschiedet und die Tür zu seinem Büro geschlossen hatte, zum ersten Mal seit langer Zeit zu weinen.
24
    Am Abend des Vapuu-Festes Ende April täuschte er eine Dienstreise vor. Er nannte die Schieflage des Fonds als Grund, die akute Phase des Krisenmanagements, die auch vor Feiertagen nicht haltmache. Es reiche ja in diesen Tagen nicht mehr aus, dass die Welt untergehe, man müsse auch noch verreisen, um das Ganze aus der Nähe betrachten zu dürfen.
    Taina nickte, langsam und müde, und Sedin fragte sich, ob sie etwas ahnte und ob es ihr etwas bedeuten oder ob es ihr gleichgültig sein würde. Er wusste keine Antwort auf diese Fragen, und die Fragen verschwanden, sobald er die Tür hinter sich geschlossen hatte und zum Wagen ging.
    Réka empfing ihn in einem weißen Bademantel, der gut zur weißen leeren Wohnung passte, und hatte gekocht, Kartoffeln, Tomaten und Hühnchen mit Paprika, das sei rumänisch, eine rumänische Spezialität, sagte sie, und es schmeckte sehr gut. Sie aßen, tranken Wein und Wodka mit Limonade aus der Dose und gingen im dunklen Park spazieren, Hand in Hand.
    Später lagen sie nebeneinander vor dem laufenden Fernseher. Réka hatte den Kopf auf seine Brust gelegt, und Sedin fielen immer wieder die Augen zu, während Rékas bevorzugte Seifenoper lief. Reiche Menschen in Los Angeles, in Vorstadtvillen, die alles hatten, aber es gelang ihnen einfach nicht, glücklich zu werden.
    »Mann, Mann, Mann«, sagte er.
    »Was?«, fragte Réka.
    »Probleme haben die.«
    »Was?«
    »Die da. Im Fernsehen.«
    Sie schwieg. Ihr Blick verlor sich wieder in den flimmernden Bildern, ein Mann und eine Frau ritten durch eine weite Landschaft, im Hintergrund das riesige Anwesen der adeligen Familie. Sie setzten sich auf eine Bank unter eine helle Sonne und begannen sich zu küssen.
    Frau betrügt Bruder mit Schwippschwager, dachte Sedin. Oder ähnlich.
    Auf dem Bildschirm begann eine Modenschau, Abendkleider wurden präsentiert, die nicht den Eindruck vermittelten, in der Realität getragen werden zu können, und niemand wusste von der Intrige, die unterhalb der Oberfläche geschmiedet wurde, niemand wusste, dass die Stieftochter des Modezaren Firmengeheimnisse ausgeplaudert hatte, weshalb die Konkurrenz

Weitere Kostenlose Bücher