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Tage in Burma

Tage in Burma

Titel: Tage in Burma Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: George Orwell
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entschlossen, mich zu
    erledigen. Vor allem haßt er mich, weil ich zuviel von ihm weiß; und außerdem ist er der Feind jedes einigermaßen ehrlichen Menschen. Er wird mit Verleumdungen gegen mich vorgehen -
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    das ist die Praxis solcher Leute. Er wird Berichte über mich verbreiten - Berichte ganz entsetzlichen und unwahren Inha lts.
    Er fängt schon damit an.«
    »Aber würde irgend jemand einem solchen Kerl etwas gegen
    Sie glauben? Er ist nur ein niederträchtiger Richter. Sie sind ein hoher Beamter.«
    »Ah, Mr. Flory, Sie verstehen nichts von der orientalischen Hinterlist. U Po Kyin hat schon höhere Beamte als mich ruiniert.
    Er wird Wege finden, daß man ihm glaubt. Und darum - ach, es ist eine schwierige Angelegenheit!«
    Der Doktor ging ein paar Schritte auf der Veranda auf und ab, und dabei putzte er seine Brille mit dem Taschentuch. Es war klar, daß es noch etwas gab, das ihm sein Taktgefühl zu sagen verbot. Einen Augenblick machte er einen so besorgten
    Eindruck, daß Flory ihn am liebsten gefragt hätte, ob er ihm nicht irgendwie helfen könne, aber er tat es nicht, denn er wußte, wie nutzlos es war, sich in Streitigkeiten zwischen Orientalen einzumischen. Kein Europäer kann diesen Streitigkeiten auf den Grund gehen; immer ist etwas dabei dem europäischen Denken unzugänglich, eine Intrige innerhalb der Intrige. Außerdem gehört es zu den Zehn Geboten des Pukka Sahib, sich aus
    ›Eingeborenen‹-Streitigkeiten herauszuhalten. Er sagte
    zweifelnd:
    »Was ist eine schwierige Angelegenheit?«
    »Es ist, wenn ich nur - ach, mein Freund, Sie werden mich auslachen, fürchte ich. Aber es ist so: wenn ich nur ein Mitglied Ihres Europäischen Clubs wäre! Wenn! Wie anders wäre meine Position!«
    »Der Club? Wieso? Wie würde Ihnen das helfen?«
    »Mein Freund, in solchen Sachen ist Prestige alles. Nicht daß U Po Kyin mich offen angreifen wird; das würde er nie wagen; er wird mich beleidigen und verleumden. Und ob man ihm
    glaubt oder nicht, hängt von meinem Ansehen bei den
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    Europäern ab. So ist das nämlich in Indien. Wenn unser Prestige gut ist, steigen wir auf; wenn schlecht, fallen wir. Ein
    Kopfnicken und ein Augenzwinkern vermögen mehr als tausend offizielle Berichte. Und Sie wissen nicht, wieviel Prestige ein Inder hat, wenn er Mitglied des Europäischen Clubs ist. Ist er im Club, so ist er praktisch ein Europäer. Keine Verleumdung kann ihm schaden. Ein Clubmitglied ist sakrosankt.«
    Flory blickte über die Verandabrüstung hinaus. Er war
    aufgestanden, als wollte er gehen. Er hatte immer ein
    beschämendes, unbehagliches Gefühl, wenn er dem Doktor
    gegenüber zugeben mußte, daß dieser wegen seiner schwarzen Haut nicht in den Club aufgenommen werden konnte. Es ist
    unangenehm, wenn man mit einem guten Freund nicht auf der
    gleichen sozialen Stufe steht; aber in Indien liegt das als etwas Naturgegebenes in der Luft.
    »Vielleicht werden Sie bei der nächsten Generalversammlung gewählt«, sagte er. »Ich sage nicht, daß man Sie wählen wird, aber es ist nicht unmöglich.«
    »Ich kann mich doch darauf verlassen, Mr. Flory, daß Sie
    nicht glauben, ich bäte Sie darum, mich für den Club
    vorzuschlagen? Da sei Gott davor! Ich weiß, das ist für Sie unmöglich. Ich habe nur die Bemerkung gemacht, daß ich, als Clubmitglied sofort unangreifbar wäre.«
    Flory stülpte sich seinen Filzhut auf den Kopf und störte Flo mit seinem Stock auf. Sie schlief unter dem Stuhl. Flory fühlte sich sehr unbehaglich. Er wußte, daß er, wenn er den Mut zu ein paar Auseinandersetzungen mit Ellis hatte, aller
    Wahrscheinlichkeit nach Dr. Veraswamis Wahl in den Club
    durchsetzen konnte. Und der Doktor war schließlich wirklich sein Freund, fast der einzige Freund, den er in Burma hatte. Sie hatten sich hundertmal unterhalten und debattiert, der Doktor war bei ihm zum Essen gewesen, er hatte sogar vorgeschlagen, Flory mit seiner Frau bekanntzumachen - aber sie, eine fromme Inderin, hatte es mit Entsetzen zurückgewiesen. Sie waren
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    zusammen auf die Jagd gegangen - der Doktor, mit Patronengurt und Jagdmesser ausgerüstet, war von Bambusblättern
    schlüpfrige Abhänge hinaufgekeucht und hatte sein Gewehr auf nichts abgeschossen. Nach allgemeinem Anstand hatte er die Pflicht, den Doktor zu unterstütze n. Aber er wußte auch, daß der Doktor ihn nie um eine Unterstützung bitten würde und daß es einen häßlichen Krach geben würde, bevor ein Orientale in den Club aufgenommen wurde. Nein,

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