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Tage in Burma

Tage in Burma

Titel: Tage in Burma Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: George Orwell
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mit dem Fuß auf den Horizont -, »wird das alles fort sein - Wälder, Dörfer, Klöster, Pagoden - alles verschwunden. Und statt dessen rosa Villen im Abstand von
    fünfzig Metern; überall auf diesen Hügeln, soweit man sehen kann, eine Villa neben der anderen, und in allen spielt das Grammophon dieselbe Melodie. Und alle Wälder abrasiert - zu Pulpe zermahlen für die News of the World, oder zu Grammophongehäusen zersägt. Aber die Bäume rächen sich,
    wie der alte Mann in der Wildente sagt. Sie haben natürlich Ibsen gelesen?«
    »Ach nein, Mr. Flory, leider nicht. Dieses gewaltige Genie, wie Ihr hervorragender Bernard Shaw ihn genannt hat. Das
    Vergnügen steht mir noch bevor. Aber, mein Freund, was Sie nicht sehen, ist, daß Ihre Zivilisation auch in ihren schlechtesten Auswirkungen für uns eine Verbesserung ist. Grammophone,
    steife Hüte, die News of the World - alles ist besser als die grauenhafte Faulheit des Orientalen. Ich sehe die Briten, selbst die unbedeutendsten von ihnen, als - als -«, der Doktor suchte nach einem Ausdruck und fand einen, der wahrscheinlich von Stevenson stammte, »als Fackelträger auf dem Wege des
    Fortschritts.«
    »Ich nicht. Ich sehe sie als eine Art neuzeitliche, hygienische, selbstzufriedene Laus. Die in der Welt herumkriecht und
    Gefängnisse baut. Sie bauen ein Gefängnis und nennen es
    Fortschritt«, setzte er etwas bedauernd hinzu - denn der Doktor würde die Anspielung nicht erkennen.
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    »Mein Freund, Sie hacken aber wirklich auf dem Thema
    Gefängnisse herum! Bedenken Sie, daß Ihre Landsleute auch
    andere Leistungen aufzuweisen haben. Sie bauen Straßen, sie bewässern Wüsten, sie bekämpfen Hungersnöte, sie bauen
    Schulen, sie errichten Krankenhäuser, sie kämpfen gegen die Pest, Cholera, Lepra, Pocken, Geschlechtskrankheiten -«
    »Die sie selber eingeschleppt haben«, warf Flory ein.
    »Nein, Sir!« entgegnete der Doktor, voller Eifer, diese
    Auszeichnung für seine eigenen Landsleute zu beanspruchen.
    »Nein, Sir, die Inder haben die Geschlechtskrankheiten in dieses Land eingeschleppt. Die Inder schleppen Krankheiten ein, und die Engländer kurieren sie. Das ist die Antwort auf all Ihren Pessimismus und Ihre Aufwiegelei.«
    »Na ja, Doktor, wir werden uns nie einigen. Tatsache ist, daß Ihnen dieser ganze moderne Fortschritt gefällt, während es mir lieber ist, wenn alles ein bißchen septisch ist. Burma zur Zeit von Thibaw hätte mir besser gefallen, glaube ich. Und wie
    gesagt, wenn wir einen zivilisierenden Einfluß haben, so nur, um uns in größerem Maßstab zu bereichern. Wir würden es bald genug hinschmeißen, wenn es sich nicht auszahlte.«
    »Mein Freund, das denken Sie doch nicht. Wenn Sie das
    britische Empire in Wahrheit mißbilligten, würden Sie nicht hier privat darüber reden. Sie würden es von den Hausdächern aus verkünden. Ich kenne Ihren Charakter, Mr. Flory, besser als Sie selbst.«
    »Entschuldigen Sie, Doktor; ich bin nicht dafür geschaffen, etwas von den Hausdächern zu verkünden. Ich hab nicht den
    Mumm. Ich rate zu ›unedelem Behagen‹, wie der alte Belial im Verlorenen Paradies. Das ist ungefährlicher. In diesem Lande muß man ein Pukka Sahib sein oder sterben. Seit fünfzehn
    Jahren habe ich mit niemandem ehrlich gesprochen außer mit Ihnen. Meine Gespräche mit Ihnen sind ein Sicherheitsventil; eine kleine heimliche Schwarze Messe, wenn Sie mich
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    verstehen.«
    In diesem Augenblick hörte man von draußen ein trostloses
    Wehklagen. Der alte Mattu, der Hindu-Durwan, der für die Europäische Kirche sorgte, stand im Sonnenlicht unterhalb der Veranda. Er war ein fieberkrankes, altes Geschöpf, mehr wie ein Grashüpfer als ein menschliches Wesen, und mit ein paar
    Quadratzentimetern schmuddeligem Lumpen bekleidet. Er
    wohnte neben der Kirche in einer Hütte, die aus flachgeklopften Kerosinbüchsen gemacht war, und beim Erscheinen eines
    Europäers kam er manchmal herausgestürzt, um mit einem
    tiefen Selam zu grüßen und über seinen › Talab‹ zu jammern, der achtzehn Rupien im Monat betrug. Er blickte kläglich zu der Veranda herauf, während er mit der einen Hand die erdfarbene Haut seines Bauches massierte und mit der anderen eine Geste machte, als schöbe er sich etwas zu essen in den Mund. Der Doktor griff in seine Tasche und ließ ein Vier-Anna-Stück über die Verandabrüstung fallen. Er war für seine Weichherzigkeit bekannt, und alle Bettler von Kyauktada machten ihn zu ihrer Zielscheibe.
    »Da sehen

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